Bundesverwaltungsgericht entschwärzt einige Seiten

28.7.2015: Im Verfahren gegen die Beobachtung Michael Csaszkóczys durch den Bundes-"Verfassungsschutz" hat das Bundesverwaltugsgericht entschieden, dass die Schwärzung einiger Dutzend Seiten in den Papieren, die der VS dem Verwaltungsgericht Köln -- das über die Beobachtung entscheiden soll -- vorgelegt hat, rechtswidrig war. Das VG Köln hat nun also etwas mehr Datengrundlage zur Beurteilung des geheimdienstlichen Treibens. Dramatisch mehr allerdings auch nicht, denn unter den inkriminierten Schwärzungen befinden sich vor allem bizarre Stilblüten wie überpinselte "Original schlecht lesbar"-Stempel.

Grundsätzlich hat das Gericht trotz der eingestandenen Frivolitäten des Amts den Entscheidungsspielraum der Schlapphüte maximal weit gefasst. Doch selbst damit kommt eine ansehnliche Liste rechtswidriger Schwärzungen zustande. Hier einige Auszüge aus dem Gerichtsbeschluss (BverwG 20 F 2.14, VG 20 K 7050/11):

Die Sperrerklärung des beigeladenen Bundesministeriums des Innern vom 21. Oktober 2013 ist rechtswidrig, soweit sie sich auf Blatt 8, 9, 10, 23, 24, 70, 74-78, 85, 94-99, 104-108, 194, 197, 199, 252-253, 305, 309, 342, 345, 362, 370, 372, 416, 420, 443, 445, 447, 468, 602, 603, 604, 606, 622, 653, 656, 658, 670, 769, 770, 771, 785, 793, 794, 796, 858-860, 861-863, 867-869, 885-887, 888-889, 893-895, 915-917, 918-920, 921-923, 973-976, 993-996, 1085, 1137, 1159-1161, 1163, 1164, 1165 und 1198-1200, 1242-1244 und 1253-1255 der Unterlagen bezieht.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Gründe:

I

Das Gericht erklärt, dass das VG Köln vom VS die Personenakte Csaszkóczys haben wollte und daraufhin „der Beigeladene” (also das Berliner Innenministerium) eine Sperrerklärung abgegeben hat, weil das Bekanntwerden einiger Inhalte der Akten das „Wohl des Bundes und der Länder” gefährden würde.

II

Das Gericht führt nochmal aus, dass für die eingangs genannten Seiten nicht einmal in ”nur beschränktem Umfang” die Sperrung durch das Vorbringen einer Gefährdung des Staatswohls zu rechtfertigen ist. Es zitiert weiter das folgende unglückliche Urteil:

a) Ein Nachteil für das Wohl des Bundes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO ist unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden ein- schließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren würde. Die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden kann erschwert werden, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen vor al­lem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen (BVerwG, Beschlüsse vom 4. März 2010 - 20 F 3.09 - juris Rn. 6 und vom 27. Oktober 2014 - 20 F 6.14 - LKV 2015, 129 Rn. 7, jeweils m.w.N.). Zu solchen Rück­schlüssen grundsätzlich geeignet sind beispielsweise Vorgangsblätter, Akten­zeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und nament­lich Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitsweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen.

Außerdem dürfen Spitzel geschützt werden, und es gibt viel Ermessensspielraum, zumal im Hinblick auf Material, deren Existenz der Kläger bisher nur hat vermuten können:

a) Bei Anlegung dieser rechtlichen Maßstäbe bestätigt die Durchsicht der im Original vorgelegten Unterlagen, die ihrerseits auch ungeschwärzte Kopien umfassen, bezüglich des weit überwiegenden Teils der Personenakte sowohl die in der Sperrerklärung detailliert bezogen auf die einzelnen Aktenbestandteile dargelegten Weigerungsgründe als auch die hierauf bezogene Ermessensent­scheidung (siehe hierzu BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 2008 - 20 F 2.07 - BVerwGE 130, 236 Rn. 19). Dies gilt auch für die in der Sperrerklärung nicht besonders erwähnten und in der geschwärzten Fassung nicht durch Leer­blätter kenntlich gemachten Aktenvorblätter, die den eigentlichen Aktenbestandteilen jeweils vorgeheftet sind und – ähnlich etwa der Beschriftung von Aktende­ckeln – ausschließlich formale Merkmale zum Zwecke der Aktenführung enthal­ten, sowie für das in der Sperrerklärung gleichermaßen nicht erwähnte, nach Blatt 272 unpaginiert eingeheftete Aktenblatt.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob das VS die Daten überhaupt hätte sammeln dürfen – dieses Urteil lehnt der BVerwG-Senat im folgenden strikt ab. Auch die Zweifel des Bundesbeauftragen für Datenschutz und Informationsfreiheit sind unmaßgeblich:

Ob sich die rechtliche Einschätzung des Bundesbeauftragten durch eine (unzulängliche) Darlegung der für die Abwägung maßgeblichen Erwägungen erklärt, kann dahinstehen. Jedenfalls auf der Grundlage der ausführlichen Zuordnung von Weigerungs­gründen in der Sperrerklärung ist die von ihm vertretene Rechtsansicht in ihrer Allgemeinheit nicht nachvollziehbar. So ist insbesondere nicht ansatzweise erkennbar, dass diese den Erfordernissen des von der Beklagten und vom Beige­ladenen für einen Großteil des Akteninhalts in Anspruch genommenen Quellen­schutzes Rechnung trägt.

So viel zu den schlechten Nachrichten. Der Senat zählt dann auf, wo er mit Schwärzungen nicht einverstanden war. Als Dokumentation einer maximal obrigkeitsstaatlichen Interpretaiton des Auskunftsrechts lassen wir die diesbezüglichen Ausführungen des Grichts hier mal in voller Länge stehen:

aa) Dies gilt zunächst bei einer Reihe von Schwärzungen, bei denen sich die Sperrerklärung nach Ziffer IV.1.d auf den Schutz von Hervorhebungen und Un­terstreichungen beruft. Solche Hinweise in den Akten können Rückschlüsse auf operative Interessen und Ziele des Bundesamts für Verfassungsschutz zulas­sen. Die mit so bearbeiteten Texten versehenen Aktenseiten werden im Inte­resse des Schutzes der Arbeitsweise des Bundesamts für Verfassungsschutz vorzugsweise ausgetauscht oder die betreffenden Passagen werden, falls dies nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist, insgesamt ge­schwärzt. Das Geheimhaltungsinteresse ist allerdings nur dann schutzwürdig, wenn die Unterstreichungen und Hervorhebungen auf Erkenntnisinteressen schließen lassen, die sich nicht bereits ohne weiteres aus der Zuordnung des Schriftstücks zur Personenakte des Klägers ergeben. Auch wenn ein Geheim­haltungsinteresse angenommen wird, so können solche Schwärzungen ihren Zweck allerdings nur dann erfüllen, wenn der gesamte Text nicht anderweitig leicht verfügbar ist. Dies ist insbesondere bei Ausschnitten aus Presseerzeug­nissen und Pressemitteilungen anzunehmen, gilt aber auch für Schriftstücke, die gerade dem Kläger bekannt sind oder deren Kenntnis er sich durch ein be­sonderes Näheverhältnis zum Urheber ohne besonderen Aufwand verschaffen kann. Vor diesem Hintergrund sind die entsprechenden Schwärzungen auf Blatt 305, 309, 342, 345, 370, 372, 416, 420, 602, 603, 604, 606, 622, 653, 656, 658, 670, 769, 770, 771, 785, 793, 794, 796, 1085, 1137, 1163, 1164 und 1165 je­denfalls ermessensfehlerhaft, weil sie nicht geeignet sind, den mit ihnen verfolg­ten Zweck zu erreichen. Gleiches gilt für die Schwärzung auf Blatt 197 und 199.

bb) Der Schutz der Persönlichkeitsrechte und sonstiger Belange Dritter (Ziffer IV.1.e der Sperrerklärung) wird von der Sperrerklärung zu Unrecht in Anspruch genommen, soweit es sich um Namen und sonstige personenbezogene Daten handelt, die in für die Öffentlichkeit bestimmten Schriftstücken und Internetsei­ten aufgeführt (BI. 194, 468, 658) oder dem Kläger ersichtlich ohnehin bekannt sind (BI. 85). Der Name und die Kommunikationsdaten der Pressesprecherin eines Landesministeriums, die auf einer in den Akten enthaltenen Presseinfor­mation angegeben sind, bedürfen ebenso wenig der Geheimhaltung (BI. 362).

cc) Der Schutz von Aktenvermerken, Arbeitshinweisen, Randbemerkungen und Querverweisen (Sperrerklärung Ziffer IV.1.c) rechtfertigt mangels eines nachvollziehbaren Geheimhaltungsinteresses weder die Schwärzung des Namens des Klägers auf Blatt 443 und 445 noch die Schwärzung auf Blatt 447 der als solchen offensichtlichen Bezeichnung des Inhalts der nachfolgenden Aktensei­ten.

dd) Soweit auf den – in der Personenakte als Fotokopien eingehefteten – Blät­tern 8, 10, 23 und 24 der Stempelaufdruck "Original schlecht lesbar" ge­schwärzt worden ist, handelt es sich ersichtlich um einen Irrtum, da insoweit ein Geheimhaltungsgrund offensichtlich nicht vorliegt. Auch wenn mit dieser Infor­mation bei isolierter Betrachtung für den Kläger ein nennenswerter Erkenntnisgewinn nicht verbunden ist, ist ein hierauf bezogener gerichtlicher Ausspruch gleichwohl angezeigt, um das Ausmaß der zulässigen Schwärzung zu verdeut­lichen.

ee) Bei einer Reihe von Deckblattberichten erschließt sich nicht, dass insbesondere aus Gründen des Quellenschutzes selbst jeglicher Hinweis auf den Anlass, über den berichtet wird, zu unterbleiben hat. Dies gilt für Veranstaltun­gen, in erster Linie Demonstrationen, bei denen die Identität der Quelle auf­grund der Anonymität eines großen nicht individualisierbaren Teilnehmerkreises verborgen bleiben kann. Dass allein mit der Offenlegung der Tatsache, dass über eine bestimmte Veranstaltung Erkundigungen eingezogen worden sind, schützenswerte Geheimnisse über operative Interessen des Bundesamts für Verfassungsschutz enthüllt werden, ist angesichts der bereits jetzt gewährten Auskünfte nicht ersichtlich. Eine differenzierende Bewertung des Inhalts der Berichte liegt nicht zuletzt dann nahe, wenn darin jeweils auf verschiedene VS-Grade hingewiesen und Teile der Unterlagen als gerichtsverwertbar eingestuft werden oder festgehalten wird, dass Teile der Berichte "sinngemäß 'offen' ver­wertet werden" können. (BI. 74-78, 94-99, 104-108, 252-253, 858-860, 861-863, 867-869, 885-887, 888-889, 893-895, 915-917, 918-920, 921-923, 973-976, 993-996, 1159-1161, 1198-1200, 1242-1244 und 1253-1255).

Schließlich ist auf Blatt 70 ein Geheimhaltungsinteresse hinsichtlich der dort eingefügten Kopie eines Zeitungsartikels nicht dargetan. Denn das Aufklärungs­interesse in Bezug auf die dort erwähnte Veranstaltung folgt bereits aus der in den Aktenblättern 66 und 67 dokumentierten Demonstrationsanmeldung, die gegenüber dem Kläger nicht geschwärzt worden ist.