Eindrücke von der Güteverhandlung am 25.11.2008 vor dem Landgericht
Karlsruhe
von Lothar Letsche*
Michael Csaszkóczy ist Unrecht geschehen - das hatte der Verwaltungsgerichtshof
(VGH) Baden-Württemberg mit seinem Urteil vom 13.03.2007 eindruckvoll bestätigt.
Statt zum 1. Februar 2004 wurde Michael erst am 1. September 2007 in den
Schuldienst eingestellt auf der Grundlage obskurer „Erkenntnisse“, die in dem
Vorwurf gipfelten, dass er sich in einer antifaschistischen Initiative in
Heidelberg engagierte. Es war eine nervenaufreibende Zeit der politischen und
juristischen Auseinandersetzung, in der er formal arbeitslos war und von
Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) lebte, bis er schließlich 2006 ein
Doktorandenstipendium erhielt.
Bekommt er nun irgendeine Entschädigung für diese Zeit? Schadenersatz für vom
Staat angerichtetes Unrecht - darum geht es in dem Rechtsstreit, der derzeit
vor dem Landgericht Karlsruhe geführt (also von Zivilrichtern entschieden)
wird. Alle Bemühungen von Michaels Anwalt, im Vorfeld im Weg eines Vergleichs
zu irgendeiner Verständigung oder Einigung zu kommen, waren gescheitert. Er
reichte Klage ein und am 25. November 2008 fand nun die Güteverhandlung statt.
Die zuständige Kammer des Landgerichts war versammelt, doch nicht, um in der
Sache zu entscheiden, sondern um den Parteien zu signalisieren, in welche
Richtung ein Urteil tendieren könnte, und um ihnen damit Hinweise zu geben, wie
sie doch noch eine gütlichen Einigung finden können. Die würden die Richter
natürlich lieber sehen (und weniger Arbeit damit haben), als eine langwierige
weitere Verhandlung und schriftliche Urteilsbegründung.
Michael (als „Kläger“) war mit seinem Anwalt Martin Heiming anwesend, das
„beklagte“ Land aber schickte keinen seiner Beamten und hochrangigen Juristen,
die das gescheiterte Berufsverbot zu verantworten haben, sondern ließ sich von
einem teuren Karlsruher Anwalt vertreten. Fünf UnterstützerInnen aus der GEW
und dem Solidaritätskomitee folgten als Zuhörer interessiert der öffentlichen
Verhandlung.
Zu hören bekamen sie vor allem einen langen Monolog des Vorsitzenden Richters.
Er ließ nicht unerwähnt, dass er eine Akte durchzuarbeiten gehabt habe, die
auch wegen der zahlreichen Eingaben und Schreiben von Abgeordneten,
Gewerkschaftsgliederungen usw. recht dick sei, und kam dann zur entscheidenden
Frage: Ist hier ein „Schaden“ entstanden, für den nun das Land einstehen
muss? Damit befasste sich der erste Teil seiner Ausführungen, und diese
Frage bejahte der Richter eindeutig. An den Feststellungen des VGH sei
nicht zu rütteln. Es ist Unrecht geschehen.
Aber haben die zuständigen Beamten des Landes deshalb schuldhaft gehandelt?
Oder auch nur fahrlässig, also „vorwerfbar“? Das würde ja schon ausreichen, um
Schadenersatzansprüche auszulösen. Überraschend deutlich ließ der Richter
erkennen, dass die zuständige Kammer des Landgericht dies so sieht. Für mich
klangen seine Darlegungen im Gerichtssaal wie eine schallende Ohrfeige für jene
Beamten des Landes, die Michael durch ihr Vorgehen um dreieinhalb Jahres seines
Berufslebens als Lehrer gebracht haben. Nur hörten die nicht zu – sie waren ja
nicht da.
Es gab zwar das skandalöse Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom
10.03.2006 – ich habe das Auftreten jener Richter selbst im Gerichtssaal
miterlebt -, mit dem Michaels Klage gegen die Nichteinstellung zunächst
abgewiesen wurde. Es gibt auch einen allgemeinen Grundsatz, belehrte uns nun
der Zivilrichter des Landgerichts, dass Beamte in der Verwaltung nicht klüger
sein müssen als ein Gericht, das in Kammerbesetzung über den Sachverhalt
entschieden hat. Wenn sie ebenso entschieden haben wie ein solches Gericht,
wäre ihr Handeln „vertretbar“. Aber dieser Grundsatz gilt nicht umstandslos.
Erstens komme es darauf an, wer denn die beteiligten Vertreter des Dienstherrn
gewesen seien, welchen Ranges und von welchem juristischen Kaliber. Wenn die
Entscheidung von einer zentralen Behörde in aller Ruhe vorbereitet wurde,
gelten andere Maßstäbe, als wenn sich ein kleiner Sachbearbeiter im Eifer des
Gefechts geirrt hat. Der Richter erinnerte daran, dass im damaligen
Oberschulamt Karlsruhe leitende Beamte bis hin zum Vizepräsidenten des
Oberschulamts in Abstimmung mit dem Kultusministerium lange und intensiv – von
November 2003 bis zur endgültigen Ablehnung im Sommer 2004 - mit dem Fall
befasst waren. Fehlerhaft sei - zweitens - nicht nur deren rechtliche Bewertung
gewesen, sondern auch schon ihre Feststellung und Würdigung des zugrunde
liegenden Sachverhalts, für die sie sich viel Zeit genommen hätten. Das aus 20
Punkten bestehende sogenannte „Sündenregister“ beweise gar nichts außer der nie
bestrittenen Mitarbeit in der AIHD. Eine wirkliche Prüfung der Umstände des
Einzelfalls - auf die Person des Klägers bezogen, unter Einbeziehung seiner
irgendwo zutage getretenenen Einstellung zur verfassungsmäßigen Ordnung,
einschließlich der völlig beanstandungsfreien Zeit des Vorbereitungsdienstes -
habe es nie gegeben. Hier liege also ein nicht vertretbares Verschulden vor,
das das Land Baden-Württemberg unzweifelhaft zu Schadenersatzleistungen
verpflichte.
Wenn aber diese Schadenersatzpflicht feststeht, wie hoch ist dann die
Entschädigung zu bemessen, wonach richtet sie sich? Wie beziffert man
Michaels entgangene Beamtenbezüge während der Arbeitslosigkeit, seine später
zwangsläufig niedriger ausfallende Altersversorgung? Was muss er sich dabei
alles anrechnen lassen?
Da setzte im Gerichtssaal das Feilschen ein. Michael war im ersten
Einstellungsgespräch gesagt worden, man könne ihn nur auf eine Vollzeitstelle
übernehmen, und dazu hatte er sich auch bereit erklärt. Damals als frisch
ausgebildeter Referendar hätte er sich zugetraut, mit dem vollen Deputat von 28
Unterrichtsstunden in den Beruf einzusteigen – und das, was ihm dafür bezahlt
worden wäre, ist ihm entgangen. Heute arbeitet er nur in Teilzeit (14 Stunden),
aber deshalb, weil er sich nach der langen Zwangspause in vieles völlig neu
einarbeiten musste, um guten Unterricht machen zu können. Aber er hat auch eine
Doktorarbeit angefangen, seine Wartezeit mit einem Qualifizierungsstudium dafür
überbrückt. Sein Stipendium, sein vorher empfangenes Arbeitslosengeld II
einschließlich Mietzuschuss und das (winzige) Honorar für einen Lehrauftrag
muss er sich anrechnen lassen.
Hätte die Schulbehörde im Jahr 2004 die „Hinweise“ aus dem Innenministerium
„richtig“ überprüft, also die Einzelfall-Überprüfung ordentlich vorgenommen,
hätte das in jedem Fall bis zum nächsten Einstellungstermin 01.09.2004
gedauert, meinte das Gericht – und für dieses halbe Jahre gebe es nichts. Nach
anderthalb Jahren in Vollzeit wäre er womöglich doch in Teilzeit gegangen, um
seine Doktorarbeit weiter zu verfolgen – ein weiterer Abzug. Ein gewisser
Abschlag müsse auch gemacht werden für den Fall, dass nach einem Urteil das
Verfahren in die 2. Instanz gehe (zum Oberlandesgericht) und die dortigen
Richter die Sache anders sehen.
Schlussendlich kam das Landgericht nach interner Beratung der Richter zu dem Vorschlag,
dass die Parteien sich auf € 30.000 Euro einigen – steuerfrei wie jeder
„Schadenersatz“ – und der Kläger dabei von allen etwaigen
Rückzahlungsforderungen für empfangene ALG II-Leistungen freigestellt wird.
Diese „Mischkalkulation“ geht als Ausgangspunkt von € 60.000 entgangenem
Nettogehalt aus und zieht davon die Hälfte für ALG II und Wohngeld ab. Alle entstandenen
Versorgungsansprüche sollen damit abgegolten sein.
Drei Wochen haben die Parteien nun Zeit, sich zu überlegen, ob sie einen
solchen Vergleich abschließen wollen. Die Rechnung, die Michaels Anwalt
ursprünglich aufgemacht hatte, führte zu einem mehr als dreimal höheren Betrag.
Aber auch ein Urteil bei einem grundsätzlich wohlwollenden Gericht birgt
Risiken, wenn man dessen Betrachtungsweise außer Acht lässt. Das werden sich
Michael und sein Anwalt also gut überlegen.
Sollte es zu keinem Vergleich kommen, würde das Gericht am 19. Januar 2009
entscheiden.
Wie angedeutet, war auch Michaels Altersversorgung, die durch die
fehlenden Jahre zwangsläufig geringer ausfallen wird, Gegenstand der
Betrachtungen der Richter. Es geht nicht um exorbitant hohe monatliche Beträge;
die könne er auch reinholen über die Zinsen, wenn er die Entschädigung seriös
anlegt. Aber diese Kürzungen betreffen das ganze Leben ab dem Eintritt des
Ruhestands. Und das, meinte einer der Richter, könne bei dem geruhsamen Dasein
eines Realschullehrers lange dauern. Aber wirkt solcher Stress, wie man ihn
Michael jahrelang angetan hat, wirklich lebensverlängernd? Von einer
Entschädigung dafür, von möglichen Langzeitfolgen für die Gesundheit,
von „Schmerzensgeld“ war nie die Rede. Dafür wird man auch schwer den Beweis
antreten können. Und man wünscht Michael wirklich nicht, dass solche Folgen
eintreten.
Noch eine persönliche Anmerkung von mir:
Als einstmals selbst von einem Berufsverbot Betroffener habe ich diese
Verhandlung mit großer Anteilnahme verfolgt und hoffe auf ein Ergebnis, das
nicht nur Michael Csaszkóczy spürbar materiell entschädigt, sondern auch den
Berufsverbietern im baden-württembergischen Innenministerium und anderswo ein
für allemal die Lust nimmt, sich ein neues Opfer zu suchen. Und vielleicht auch
einzelnen anderen früheren Betroffenen zitierbare Fingerzeige gibt, wie sie
ebenfalls zu einer Entschädigung kommen könnten.
Dass den staatlichen Behörden in Michaels Fall bisher jedes Unrechtsbewusstsein
abgeht, haben sie nach meinem Empfinden auch durch ihr Nichterscheinen im
Gerichtssaal bei dieser wichtigen Verhandlung demonstriert. Die definitive
Beendigung der Berufsverbote-Praxis und Rehabilitierung der Betroffenen muss
politisch gewollt sein. Der Anlauf im baden-württembergischen Landtag im Jahr
2000 war erkennbar zu halbherzig. Wir leben aber heute im Zeitalter des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und der EU-Richtlinien. Politische Fehler
auf dem Rechtsweg zu heilen, geht immer auf Kosten des Nervenkostüms einzelner
Betroffener. Um so wichtiger ist, dass die gewerkschaftliche Solidarität
weitergeht.
* wissenschaftlicher Angestellter einer Forschungseinrichtung in Tübingen,
Vorsitzender der Fachgruppe Hochschule und Forschung der GEW Baden-Württemberg,
ab 1977 von einem Ausbildungsverbot als Lehrer betroffen (damals Oberschulamt
Stuttgart)