Heidelberg, 17.05.2006



In der Verwaltungsrechtssache


Csaszkóczy ./. Land Baden-Württemberg




wird der Antrag auf Zulassung der Berufung vom 12.04.2006 wie folgt begründet:


I. §124 II Nr. 1 VwGO


Es bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils, das sich in seinen Entscheidungsgründen fast ausschließlich auf die Antifaschistische Initiative Heidelberg (AI HD), die wiederum ausschließlich gemessen wird an ihrer Selbstdarstellung „Wir über uns!“, und auf die Mitgliedschaft des Klägers in dieser Gruppe konzentriert.


1.

Dabei ist zunächst der Einstieg in die Begründung geprägt von einem klassischen Zirkelschluss: Die politisch links orientierte Szene setze sich, so die Verfassungsschutzberichte seit Jahren, nur vordergründig für eine Welt ohne Rassismus, Ausbeutung und Krieg ein, in Wahrheit werde hier ein gewaltbereiter Antifaschismus mit System überwindender Stoßrichtung gepflegt; diese Aussage werde bestätigt, so das VG, durch das Papier „Wir über uns!“. Da die Verfassungsschutzämter ihre zitierte Bewertung aber denknotwendig wiederum nur aus der Beobachtung und Sammlung von Äußerungen und Aktionen der linken Szene, beispielsweise der AI HD, schlussfolgern können, kann wiederum das Positionspapier der AI HD nicht zugleich umgekehrt diese Bewertung des Verfassungsschutzes als richtig bestätigen.


2.

Es kann dabei auch schon gar nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes sein, festzulegen – erst recht nicht für das gerichtliche Verfahren, welche Gruppen oder Parteien verfassungsfeindlich sind – und dieses womöglich am Ende nur herzuleiten aus der Tatsache, dass eine bestimmte Gruppierung vom Landesamt (oder Bundesamt) beobachtet wird. Dies wäre bereits allein deshalb eine völlig verkürzte Betrachtungsweise, weil beispielsweise auch die PDS unter Beobachtung steht, die nicht nur seit Jahren im Bundestag, sondern in Ostdeutschland sogar in Landesregierungen vertreten ist.


3.

Zur Frage der Wertigkeit der Erkenntnisse des Verfassungsschutzes waren schon in der Klagebegründung (vgl. Schriftsatz vom 11.03.03) zwei Überlegungen vorgetragen worden, die das VG in seinem Urteil vollständig ignoriert hat:


Zum einen:


Der Beklagte und das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg sind im Grunde organisationsidentisch, denn sowohl das Kultusministerium als auch das Innenministerium, zu dem das Landesamt für Verfassungsschutz gehört, sind Teil der Landesregierung. Diese Exekutive ist an Recht und Gesetz gebunden, nicht aber an Feststellungen oder Vorgaben, die ein Teil der Verwaltung einem anderen Teil derselben Verwaltung vorgibt. Es ist daher in jedem Fall nicht ausreichend und damit ebenfalls fehlerhaft, als Voraussetzung für die eigene Entscheidung die Bewertung des LfV als gegeben lediglich zu übernehmen.


Der Verweis auf die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums zur Durchführung des Landesbeamtengesetzes (VwV-LBG), hier Randnummer 10.2, zweiter Absatz, Sätze 1-3 zu § 6 LBG, ist daher nicht tauglich, eine wirkliche Rechtsgrundlage zu benennen. Dass diese VwV im Juli 2003 neu gefasst und gerade mit diesem Passus ergänzt wurde, also zum Zeitpunkt der ersten Hinweise des LfV an den Beklagten in dieser Sache, mag dabei durchaus kein zeitlicher Zufall gewesen sein.


Zum zweiten:


Das wichtige Ziel der AI HD ist es, Faschismus und Neofaschismus zu bekämpfen. Dies bedeutet ganz konkret, vor allem Aufmärschen und Kundgebungen der NPD entgegen zu treten, nach Möglichkeit zu verhindern. Gerade in diesem Zusammenhang aber ist der Verfassungsschutz sozusagen als befangen einzustufen und von daher nicht in der Lage, verlässliche Informationen, richtiger: Bewertungen, zu liefern für eine Entscheidung des Beklagten in einem Bewerbungsverfahren. Dies wiederum folgt daraus, dass auch der Bundestag, auf anderem Wege als die AI HD, nämlich durch einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht, die NPD als Partei zu verbieten, Aufmärschen und Kundgebungen der NPD entgegen treten wollte. In diesem Verfahren hat sich gezeigt, dass die Verfassungsschutzämter nicht nur Spitzel in der Parteiorganisation der NPD platziert haben, sondern es wurde darüber hinaus deutlich, dass es diese Mitarbeiter der Verfassungsschutzämter selbst waren, die bestimmte Aktionen der NPD, wegen derer sie gerade verboten werden sollte, erst organisiert und realisiert haben. Das Bundesverfassungsgericht sah sich jedenfalls veranlasst, die Durchführung des Verbotsverfahrens deswegen zu verweigern. Es ist nicht vorstellbar, dass ein in dieser Weise mit der NPD verquickter Geheimdienst eine Gruppierung, die sich den


Neofaschisten gerade deutlich entgegen stellt, vorurteilsfrei beobachtet und bewertet. Markant belegen lässt sich dies außerdem damit, dass das LfV in seinen jährlichen Berichten das Wort Antifaschismus durchgängig in Anführungsstriche setzt; dies ist 60 Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches nicht akzeptabel und disqualifiziert jede Äußerung zu diesem Thema.


Im übrigen ist die verfassungsschützerische Bewertung selbst kaum geeignet, „die Antifaschisten“ als gewaltbereite Linksextremisten zu beschreiben. Beispielsweise in dem im Widerspruchsbescheid angeführten Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2002 (S. 89 f) findet man zwar die plakative Überschrift „Gewaltbereite Linksextremisten“ und dort, in Anführungsstrichen, den Unterpunkt „Antifaschismus“, doch ist im Text dann die Rede von bereits bestehenden und nunmehr verstärkten „organisatorischen Auflösungstendenzen“ und einer „Lethargie in der autonomen Szene“.


Auf der ebenfalls zitierten Seite 112 wird speziell von der AI HD berichtet, im April 2002 habe diese bei einer Demonstration für Frieden in Palästina ein Transparent mit der Aufschrift „Frieden und Gerechtigkeit auch für Israel“ gezeigt und damit innerhalb der

Demonstration Proteste und Tumulte ausgelöst, die aber friedlich blieben.


4.

a) Liest man nun sachlich und nüchtern allein die Selbstdarstellung der AI HD, so wird jedenfalls daraus die angeblich „System überwindende Stoßrichtung“ im Sinne einer Ablehnung unserer verfassungsmäßigen Ordnung nicht erkennbar. Das VG versucht dies in seinem Urteil dennoch zu belegen, indem einfach eine Art Verschiebung vorgenommen wird: Die durchaus deutliche Kritik an vor allem rassistischen und faschistischen Einstellungen und Strukturen in der Gesellschaft wird als (diffamierende) Kritik am Staat interpretiert. Dies gelingt, indem Zitate in falsche Zusammenhänge gesetzt werden. Dazu soll ein besonders eklatantes Beispiel, das für sich spricht und nicht weiter kommentiert werden muss, angeführt werden:



Die Selbstdarstellung formuliert:



Angesichts der immer forcierter betriebenen Abwicklung der besonderen deutschen Vergangenheit, der Gleichsetzung des nationalsozialistischen Terrorsystems mit der Staatsform der sich selbst als „sozialistisch“ definierenden Systeme und der sich daraus ergebenden Verharmlosung und „Normalisierung“ deutscher nationalsozialistischer Vergangenheit und restaurierter Nachkriegsgegenwart betrachten wir es als unsere Aufgabe, die Erinnerung an die Verbrechen des singulären deutschen Faschismus wach zu halten, um insbesondere Jugendlichen zu verdeutlichen, wozu Antisemitismus, Rassismus, imperialistisches Großmachtstreben und Autoritätshörigkeit führen.


Daraus macht das VG:


In den staatlichen Strukturen „gesellschaftlicher Unterdrückung“ werde die deutsche nationalsozialistische Vergangenheit verharmlost und „normalisiert.“


b) Hier werden zwei weitere Fehler des Urteils deutlich erkennbar: Es findet nicht nur eine Verwechslung von Staat und Gesellschaft statt, sondern darüber gerät auch in Vergessenheit, dass von einem Beamten(bewerber) nicht genuin Staatstreue, sondern Verfassungstreue gefordert wird, das heißt ein Bekenntnis zu den Grundprinzipien der

Verfassung. Dazu rechnen: Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung der Opposition (vgl. BVerfGE 39, 334 ff; BVerwG vom 27.11.80, DRiZ 81, 231 ff.).


c) Obwohl das angefochtene Urteil sich mehrfach auf die eben zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beruft, führt es diesen Kern der Verfassungstreue an keiner Stelle an, verkennt also den eigentlichen Maßstab für die Prüfung der Verfassungstreue.


d) Auch die weitere Vorgabe, „die Grenzen einer sich im Rahmen der Verfassung haltenden Kritik (würden) überschritten, wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung offen als nicht erhaltenswert bezeichnet (werde)“ (BverwG a.a.O.), lässt sich nicht im AI HD -Text auffinden.


e) Und was schließlich einen dritten Punkt betrifft, auf den sich das VG bezieht, wonach sich ein Beamter im Rahmen seiner Treuepflicht eindeutig von Gruppen distanzieren müsse, die „diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren“, so findet es solche Belege bei der AI HD nur, indem es kurzerhand historische Wahrheiten als Diffamierungen ausgibt.


Im Einzelnen:



Dies betrifft vor allem die Frage der Kontinuität zwischen Drittem Reich und Bundesrepublik Deutschland. Genau so wie politisch unbestritten sein dürfte, dass die deutsche Verfassung radikal mit den Staatsvorstellungen der NS-Diktatur gebrochen hat, genau so wenig ist historisch bestritten, dass die g e l e b t e Verfassungswirklichkeit nach 1945 (oder 1949 ) in der Gesellschaft natürlich erhebliche Kontinuitäten zu erkennen gegeben hat. Dies lag, selbstverständlich, zum großen Teil einfach daran, dass die Gesellschaft, die in weiten Teilen das nationalsozialistische Herrschaftssystem verkörpert oder jedenfalls mitgetragen hat, nach 1945 nicht einfach `ausgetauscht´ werden konnte. Man konnte zwar – und hat dies auch getan – dem Staat und der Gesellschaft, auf dem Papier, eine neue Verfassung vorgeben, die Umsetzung in die Wirklichkeit hing (und hängt) dabei aber immer von den handelnden Personen ab. Die Funktion des Staates und sein Funktionieren können neu und anders definiert werden, tatsächlich vorhandene Strukturen in Staat und Gesellschaft verändern sich aber nur langsam.



Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass es in Deutschland natürlich auch vor 1933 sozusagen einen sozialen Boden für die NS-Diktatur gegeben hat. In diesem Zusammenhang darf nebenbei auf die einschlägige und eindrucksvolle Untersuchung von Barrington Moore, Soziale Ursprünge von Demokratie und Diktatur (Frankfurt am Main 1969), verwiesen werden, mit der ich mich beispielsweise in einem Staatsrechtsseminar während meines Jurastudiums vertraut machen musste und vor allem durfte.




So gab es vor allem natürlich personelle Kontinuitäten. Hier seien nur die Namen Globke und Filbinger genannt. Inzwischen ist eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen über solche personellen Kontinuitäten nicht nur bei Politikern, sondern beispielsweise auch Medizinern und Juristen vorgelegt worden. Dies alles dürfte und müsste gerichtsbekannt sein.


Selbst diese Rechtssache weist insofern eine bemerkenswerte Kontinuität auf, als die hier immer noch einschlägige BVerfG-Entscheidung von 1975 von Bundesverfassungsrichter Geiger als Berichterstatter maßgeblich formuliert wurde, der 1941 in seiner Promotion über die Staatstreue der „NS-Schriftleiter“ weitgehend identische Formulierungen benutzt hatte (vgl. Köhler, Wir Schreibmaschinentäter. Journalisten unter Hitler – und danach. Köln 1989).

Soweit das VG die Formulierung anprangert, „im Deutschland der 90-er Jahre sind gewalttätige rassistische Angriffe zur Normalität geworden“, ist dieses historisch (leider) genauso belegbar. Diese Entwicklung hat sogar dazu geführt, dass die Bundesregierung (Kanzler Schröder) am Anfang des folgenden Jahrzehnts dann zu einem sogenannten Aufstand der Anständigen („Widerstand gegen Rechts“) aufgerufen hat. Solche rassistischen Gewalttaten sind aber auch nicht nur junge historische Wahrheit, sondern auch aktuelle Wirklichkeit; in den letzten Wochen hat es erst wieder zwei rassistisch motivierte Gewalttaten (Potsdam und Pömmelte) gegeben. Dabei zeigt gerade die zwischen dem Innenminister des Landes Brandenburg (Vorfall in Potsdam) und dem Generalbundesanwalt in der Öffentlichkeit ausgetragene Kontroverse, wer denn nun zur Verfolgung dieser Straftat zuständig sei, weil, so der Innenminister, ein rassistischer Hintergrund nicht erkennbar sei, dass auch staatliche Stellen auch heute noch immer wieder zur „Verharmlosung“ (so die AI HD) von rassistischer Gewalt neigen.


Dass solche Vorgänge immer noch und immer wieder passieren, und wie mit ihnen umgegangen wird, hängt natürlich (auch) mit der rassistischen „Tradition“ in Deutschland zusammen. Dies ist historisch und soziologisch belegt. Dies zu benennen, ist keine Diffamierung, im Gegenteil, es zu verschweigen, würde es verschlimmern – es liefe vor allem der Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte (siehe oben) entgegen.


f) Ein Beleg, wo und wie die AI HD, neben diesen „Diffamierungen“, die deutsche Verfassung angreift, bekämpft und am Ende abschaffen will, fehlt schließlich völlig.


5.

Was allerdings belegt ist – und hier ist das Urteil erneut offensichtlich unrichtig, weil es den Kläger selbst gar nicht mehr in den Blick nimmt - , sind die Aktivitäten des Klägers in den vergangenen Jahren. Zum einen hatten diese zum großen Teil öffentliche Resonanz, zum anderen hat das Innenministerium Baden-Württemberg im Einstellungsverfahren dazu eine 20-Punkte-Liste vorgelegt, zu der drittens der Kläger selbst dann schriftliche Anmerkungen gemacht hat, wobei er sich auch sehr dezidiert zu dem Papier der AI HD und zu seiner eigenen politischen Position geäußert hat. Da weitere Aktivitäten des Klägers nicht bekannt sind, und es solche auch nicht gegeben hat, können also die berichteten Aktivitäten denknotwendig auch nur die sein, zum Teil oder vollständig, die er im Rahmen seiner Mitgliedschaft in der AI HD betrieben hat.


Diese Aktivitäten, die einzeln und in ihrer Gesamtheit Ausdruck eines engagierten Eintretens gegen Faschismus und Rassismus sind, sind genau mit dieser positiven Bewertung in der mündlichen Verhandlung noch Gegenstand der Erörterungen gewesen und haben jedenfalls dem Vorsitzenden Richter und dem Beklagtenvertreter auch ein entsprechendes Lob entlockt. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils sind sie noch marginal wiedergegeben, in den Entscheidungsgründen tauchen sie nicht mehr auf. Genau darum wäre es aber gegangen, denn nicht die AI HD, sondern der Kläger steht im Mittelpunkt dieses Verfahrens. Seine Verfassungstreue steht auf dem Prüfstand. Seine Äußerungen dazu, auf dem Hintergrund seiner Aktivitäten, sind völlig unberücksichtigt geblieben.


In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner frühen Leitentscheidung zur Frage der Verfassungstreue von Beamten (Urteil vom 22.05.75, BverfGE 39, 334 ff.) jedenfalls auch festgelegt hat, dass die Mitgliedschaft in einer Partei, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, a l l e i n nicht ausreicht, um einen Beamten(bewerber) abzulehnen. Nachfolgende Entscheidungen beispielsweise des BVerwG haben dies aufgegriffen und – damals bezogen auf die Mitgliedschaft in der DKP – immer geprüft, ob und welche herausgehobenen Funktionen oder Positionen das konkrete DKP-Mitglied inne hatte.



II. §124 II Nr. 4 VwGO


1.

Insofern ist auch zu rügen, dass das Urteil von anderslautenden höchstrichterlichen Entscheidungen abweicht. Auf dieser Abweichung beruht das Urteil auch. Hätte das VG genauer geprüft, welche Aktivitäten der Kläger selbst eigenständig oder im Rahmen der AI HD entwickelt hat, hätte seine Entscheidung anders ausgesehen.


2.

Eine weitere Abweichung ergibt sich aus folgendem:


Die (bisherige) Rechtsprechung und Kommentierung gehen davon aus, dass dem Dienstherrn eines Bewerbers für den öffentlichen Dienst bei der Beurteilung der Verfassungstreue ein gewisser Ermessensspielraum zusteht. Die gerichtliche Kontrolle einer Entscheidung, die die Übernahme des Bewerbers ablehnt, soll nur eingeschränkt möglich sein. Das Gericht kann überprüfen, ob die richtigen Kriterien vollständig angelegt und ob willkürliche oder widersprüchliche Erwägungen angestellt wurden (vgl. z.B. BVerfGE 39, 334, 355).


Diesen rechtlichen und tatsächlichen Rahmen, der dem Dienstherrn, hier dem Beklagten, vorgegeben ist, zu überprüfen, hat das VG versäumt. Es hat im Ergebnis eigene Zweifel an der Verfassungstreue des Klägers formuliert. Damit ist das Urteil offensichtlich unrichtig.


Die einzelnen Mängel des Ablehnungsbescheids und vor allem des Widerspruchsbescheids des Beklagten sind in der Klagebegründung vom 11.03.2005 ausführlich dargelegt worden; das muss hier nicht wiederholt werden, darauf kann Bezug genommen werden. Hingewiesen sei lediglich nochmals darauf, dass beispielsweise die Feststellung dazu, dass der Kläger sich "seit Anfang der 90er Jahre in Heidelberg ... in der politisch links orientierten autonomen Szene" bewege, völlig unzureichend sind. Das Innenministerium Baden-Württemberg hatte verschiedene Erkenntnisse über Aktivitäten des Klägers übermittelt, die allerdings dann nur rein pauschal gewertet wurden. Das VG hatte noch in der mündlichen Verhandlung aus diesen Aktivitäten auf ein hohes lobenswertes Engagement des Klägers im Sinne der Grundrechte unserer Verfassung geschlossen. Im Urteil heißt es dann nur noch lapidar, der Kläger bewege sich "unstreitig" seit Anfang der 90er Jahre in der besagten Szene.


Dabei hatte das VG (die früher zuständige 5. Kammer) schon eine e c h t e Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen für die durch den Beklagten ergangenen Bescheide eingeleitet und mit Schreiben vom 30.11.05 den Beklagten aufgefordert:


"Der Widerspruchsbescheid des Oberschulamts Karlsruhe vom 15.11.2004 nennt auf Seiten 3 - 15 zahlreiche Erkenntnismittel, aus denen die Auffassung hergeleitet wird, der Kläger biete keine Gewähr dafür, dass er für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintrete. Diese Quellen befinden sich nicht bei den Akten. Es wird daher gebeten, dem Gericht ... die ... genannten Erkenntnismittel ...zukommen zu lassen."


Dieser Verfügung kam der Beklagte nicht nach, so dass schon von daher die notwendige Kontrollfunktion des VG nicht erfüllt werden konnte.


Diese Behandlung der Rechtssache durch das VG in diesem Punkt führt zugleich zu (weiteren) ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit seines Urteils, §124 II Nr. 1 VwGO (ergänzend zu oben I.).



III. §124 II Nr. 3 VwGO


Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung.


1.

Diese Bedeutung ergibt sich zunächst schon allein daraus, dass in dieser Rechtssache über das gesamte berufliche Leben des Klägers entschieden wird. Der Kläger hat an der pädagogischen Hochschule ein Studium für das Lehramt an Realschulen sehr erfolgreich abgeschlossen. In gleicher Weise absolvierte er den schulischen Vorbereitungsdienst (die Referendarzeit), so dass er jetzt ein fertig ausgebildeter Realschullehrer ist. In Deutschland sind aber nun nahezu alle Realschulen staatlich, so dass der Kläger seinen erwählten und erlernten Beruf – insoweit ausdrücklich geschützt durch Art. 12 GG – praktisch nur im öffentlichen Dienst ausüben kann. Die Möglichkeit einer Einstellung an einer privaten Realschule ist mangels Angebot nahezu utopisch. Selbst wenn es zumindest theoretisch eine solche Möglichkeit geben sollte, scheidet sie aber konkret jedenfalls mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit deshalb aus, weil dem Kläger zuvor die Einstellung an einer staatlichen Schule verweigert wurde; private Schulen sind ganz generell von ihrer Ausrichtung her grundsätzlich eher als konservativ zu verorten. Insofern hat ein `linker´ Lehrer keine realistische Chance auf Einstellung in einer privaten Schule.


Genau diese zugespitzte Situation veranlasst – zu Recht – daher die Medien und auch weite Teile der Gesellschaft, in solchen Fällen und in dieser vorliegenden Rechtssache


ganz besonders, von einem „Berufsverbot“ zu sprechen, wenn die Einstellung in den Schuldienst verweigert wird.


Eine derart weit reichende Entscheidung hat per se grundsätzliche Bedeutung.


2.

Die Rechtssache hat weiterhin auch deshalb grundsätzliche Bedeutung, weil sie eine immense Resonanz in der Öffentlichkeit und in den Medien gefunden hat. Von ZEIT bis ZDF ist teilweise mehrfach und ganz überwiegend sehr kritisch über das Einstellungsverfahren, die Ablehnung des Klägers und die diese bestätigende Entscheidung des VG berichtet worden. (...) Dies alles zeigt, dass jedenfalls die gelebte Verfassungswirklichkeit im 21. Jahrhundert ein großes Fragezeichen hinter dieses Berufsverbot setzt. Auch wenn hiermit vordergründig keine grundsätzlichen rechtlichen Aspekte des Falles angesprochen sind, zeigt doch die grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers in Sachen Rechtsschutz und Rechtsweg für Berufung und Revision, dass dem Bürger prinzipiell drei, im Regelfall aber mindestens zwei gerichtliche Instanzen eröffnet sein sollen. Dass dieses Postulat der Gerichtswirklichkeit inzwischen nicht mehr vollständig entspricht, ist im Grunde lediglich fiskalischen Zwängen geschuldet. Auf diesem gesamten Hintergrund dürfen die Zulassungsvoraussetzungen für die Berufung gerade in diesem konkreten Fall nicht zu hoch geschraubt werden.


(...)


4.

Hier muss man aus einer anderen Perspektive auch noch auf folgenden erheblichen Unterschied hinweisen:


Die DKP war damals bundesweit zugelassen und bundesweit tätig. Es gab landesweit einen gewissen Grad der Organisierung und der Organisation. Nach den damaligen gerichtlichen Feststellungen war Ziel der DKP, grob vereinfacht, das demokratische System in ein kommunistisches zu verändern.


Im Gegensatz dazu ist die AI HD zunächst einmal eine nur lokal organisierte und tätige Gruppierung und zählt zu ihren Zielen, wiederum grob vereinfacht, den Kampf gegen Rassismus und Faschismus und allgemein gegen Unterdrückungsverhältnisse ("Unter­drückung des Menschen durch den Menschen"). Dabei propagiert sie nicht die Abschaffung des Staates Bundesrepublik Deutschland und seiner Verfassung, trifft lediglich die Aussage, dass aus ihrer Sicht dazu auch außerparlamentarische Wege beschritten werden müssten.


Es spricht für sich (darauf hatte ich bereits in meiner ergänzenden Klagebegründung vom 07.03.06 hingewiesen, dass die AI HD im Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2004 gar nicht mehr aufgeführt ist).


Auch diese verschiedenen Faktoren unterschiedlicher "Wertigkeit" von DKP früher und AI HD heute hätten Eingang in die Entscheidung des VG finden müssen.







5.

Daraus stellen sich folgende grundsätzliche Rechtsfragen:



  1. Sind die Anforderungen an die Verfassungstreue, die ja zweck- und zielgerichtet erscheint, allezeit gleich, ohne Rücksicht auf historische, zeitgeschichtliche und politische Parameter und Entwicklungen?

  2. Selbst wenn Frage 1 bejaht würde, muss nicht, im geänderten zeitgeschichtlichen Kontext, inzwischen mindestens eine Differenzierung nach den unterschiedlichen Tätigkeiten im öffentlichen Dienst vorgenommen werden?


  1. Ist es nicht, auf dem Hintergrund des inzwischen absolut stabilen, innerlich wie

äußerlich, demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und in Abwägung mit den Grundrechten der allgemeinen Handlungsfreiheit, der Meinungsfreiheit, der Vereinigungsfreiheit und der freien Berufswahl ausreichend, wenn die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei oder Vereinigung im Hinblick auf die Verfassungstreue erst und nur dann von Relevanz ist, wenn die Partei oder die Vereinigung von den dafür zuständigen Stellen auch tatsächlich als verfassungsfeindlich verboten wurde?


  1. Stellt das Grundrecht aus Art. 12 GG der Verfassungstreue aus Art. 33 GG zusätzliche Schranken, wenn der betreffende Bewerber für den öffentlichen Dienst gerade seinen gewählten und erlernten Beruf als Realschullehrer außerhalb des öffentlichen Dienstes gar nicht ausüben kann, weil es eine solche Alternative faktisch nicht gibt?


  1. Ist die Mitgliedschaft in einer rein lokal wirkenden Gruppierung für sich geeignet, Zweifel an der Verfassungstreue zu begründen?



IV. §124 II Nr. 2 VwGO


1.

Aus den vorgenannten Darlegungen ergibt sich zugleich, dass die Rechtssache besondere rechtliche Schwierigkeiten aufweist.


2.

Es kommt hinzu, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, hier insbesondere das bereits erwähnte Vogt-Urteil, beachtet werden muss; in welcher Weise dies zu geschehen hat, wirft besondere rechtliche Schwierigkeiten auf.


Das VG hat sich auf dieses Urteil lediglich insoweit bezogen, als es feststellt, die Europäische Menschenrechtskonvention stehe der Einigungsvoraussetzung der Verfassungstreue für die Einstellung in den öffentlichen Dienst nicht entgegen. Das ist so pauschal sicherlich richtig. Der interessanteren Frage, ob nämlich im Einzelfall die Anwendung der entsprechenden beamtenrechtlichen Vorschrift Grundrechte des Beamten verletzt, geht das angefochtene Urteil nicht nach.






Dabei reicht es sicherlich nicht aus, diese Frage einfach abzutun mit dem Hinweis, der EGMR habe zwischen Beamten und Beamtenbewerbern unterschieden und festgestellt, die EMRK enthalte zwar das Menschenrecht der Meinungsfreiheit, aber kein Menschen-


oder Grundrecht auf Zugang zum öffentlichen Dienst; damit könne ein Bewerber, der zurückgewiesen werde, in keinem Menschenrecht verletzt sein - im Gegensatz zu einem Beamten, bei dem es nicht um den Zugang, sondern um die Entfernung aus dem öffentlichen Dienst gehe. Richtig ist, dass der EGMR so geurteilt hat; ebenso richtig ist aber auch, dass diese Argumentation erkennbar kurzschlüssig ist. Wenn alle Staatsbürger gleichermaßen das Recht auf Zugang zum öffentlichen Dienst haben, wie es bei uns Art. 33 GG festlegt, und ein Bewerber wird wegen seiner politischen Meinung zurückgewiesen, weil diese Zweifel an seiner Verfassungstreue hervorrufe, erleidet er natürlich einen Nachteil oder eine Diskriminierung w e g e n seiner Meinung, und natürlich stellt sich dann die Frage, ob das Grund- oder Menschenrecht auf Meinungsfreiheit im konkreten Fall verletzt wird, wenn ein solcher Bewerber abgewiesen wird (so schon mit überzeugenden Argumenten die abweichende Meinung des Richters Gotchev des EGMR in dem Vogt-Urteil, dort Seiten 46 ff., 53, 54).


Genau so sieht es ganz offensichtlich jedenfalls auch das BVerfG, das in dem sog. Kopftuch-Urteil den für diesen Fall bemerkenswerten Satz schreibt: "Wird indessen schon der Zugang zu einem öffentlichen Amt im Hinblick auf ein künftiges Verhalten des Bewerbers verweigert, das unter grundrechtlichem Schutz steht, muss sich die Annahme eines hierauf gestützten Eignungsmangels ihrerseits vor dem betroffenen Grundrecht rechtfertigen lassen." (Urteil vom 24.09.03 - 2 BvR 1436/02 -).


Das VG bezieht sich zwar auf dieses Urteil (das es fälschlich als Beschluss zitiert), allerdings lediglich zum Beleg dafür, dass - generell - von einem Bewerber Verfassungstreue gefordert werden darf (wobei auch dieser Bezug insofern unzutreffend ist, als das BVerfG sich in diesem Urteil gar nicht mit der Verfassungstreue beschäftigt, sondern lediglich, wiederholend, feststellt, dass Eignungsvoraussetzungen für den Zugang zum öffentlichen Dienst generell rechtlich zulässig sind). Abgesehen davon bezieht sich das VG nur auf ältere innerstaatliche Rechtsprechung, aus der Zeit vor dem genannten Urteil des EGMR und vor allem eben auch aus der Zeit vor den immensen politischen Veränderungen (dazu siehe schon oben).


Man kann jedenfalls mit einiger Berechtigung davon ausgehen, dass der EGMR heute seine Argumentation, zugunsten des Klägers, entsprechend ändern würde. Worauf es dem EGMR meines Erachtens entscheidend im Kern ankommt, ist das persönliche Verhalten des Betroffenen, das sich eben nicht erschöpft in der bloßen Mitgliedschaft oder Mitarbeit in einer Partei oder sonstigen Gruppierung. Dies lässt sich insbesondere auch ableiten aus einer späteren Entscheidung des EGMR (Entscheidung vom 22.11.2001, NJW 2002, 3087 ff.), wo einem früherem Lehrer der ehemaligen DDR, Parteimitglied der SED, vor allem konkret vorgeworfen wurde, dass er einen Schüler aufgefordert hatte, eine kirchliche Gruppe zu bespitzeln. Damit stand wesentlich ein persönlicher Mißbrauch der Autorität eines Lehrers gegenüber seinem Schüler im Raum; in diesem Fall hat der EGMR das Fehlen der Eignungsvoraussetzung bejaht.







V.


§§ 124 II Nr. 5, 132 II Nr. 3, 138 Nr. 3



Abschließend ist zu rügen, dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt wurde.


Das VG hat eine Überraschungsentscheidung insofern getroffen, als es nicht die behördlichen Entscheidungen überprüft, sondern selbst eine Prüfung der Verfassungstreue des Klägers vorgenommen hat (siehe dazu die Ausführungen oben unter II.2).

Überraschend ist weiter, dass das VG die angeblich fehlende Verfassungstreue völlig anders hergeleitet und begründet hat als der Beklagte. Das VG hat einzig und allein die Mitgliedschaft des Klägers in der AI HD herangezogen und, was die AI HD betrifft, wiederum einzig und allein nur die Selbstdarstellung dieser Gruppe zugrunde gelegt.

Schließlich hat das VG bei der Interpretation der Ideen der AI HD historische Tatsachen als Diffamierungen bewertet und damit völlig verkehrte Maßstäbe angelegt (vgl. dazu oben I. 4. e).


Wäre diese Entscheidungsfindung des VG rechtzeitig erkennbar gewesen, wären dazu von Klägerseite aus Anträge auf Einholung von entsprechenden zeitgeschichtlichen und politologischen Sachverständigengutachten gestellt worden.









Heiming

Rechtsanwalt