Rede Silvia Gingolds

Auf der Demonstration gegen Berufsverbote, 27.1.07 in Mannheim

Liebe Kolleginnen und Kollegen!


Eine Zeitreise zurück in die 70iger – das Berufsverbot gegen Michael Csaszkoczy hat die überwunden geglaubte Schnüffelpraxis und Gesinnungsverfolgung aufleben lassen. Als ehemals Betroffene bekomme ich heute wieder Gänsehaut.

Vor 32 Jahren erhielt ich in Hessen nach 4 jähriger Lehrertätigkeit Berufsverbot.

Meine Teilnahme an Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam, Reisen in die DDR, Engagement gegen Notstandsgesetze, gegen Neonazismus, Faschismus und Krieg , mein Eintreten für eine sozialistische Gesellschaft – das beinhaltete mein „Sündenregister“, das der Verfassungsschutz in jahrelanger akribischer Kleinarbeit über mich gesammelt hatte . Zigtausende Kolleginnen und Kollegen im Öffentlichen Dienst wurden damals bespitzelt, Bewerber wurden tribunalartigen Gesinnungsverhören unterworfen. Zehntausende Berufsverbotsverfahren und über tausend Berufsverbote waren die Folge dieser Schnüffelpraxis. Damit wurde ein Klima der Angst und Einschüchterung geschaffen. Die Bürger sollten zu angepassten Duckmäusern verkrüppeln. All jenen sollte das Rückgrat gebrochen werden, die gegen bestehende Missstände aufbegehrten.

Und immer noch werden heute Bürger bei der Ausübung ihrer verfassungsmäßigen Rechte bespitzelt und Zweifel an ihrer Verfassungstreue unterstellt. Es gibt gegen Michael und es gab vor 30 Jahren in keinem einzigen Fall auch nur einen Beleg für eine gegen das Grundgesetz gerichtete Betätigung. Im Gegenteil: Alle Aktivitäten der Betroffenen waren damals wie heute auf die Verteidigung der demokratischen Rechte und den antifaschistischen Auftrag des Grundgesetztes gerichtet.

Mit dem Berufsverbot gegen Michael soll erneut ein Signal zur Einschüchterung und Anpassung gesetzt werden. Ein wachsendes Engagement gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau, gegen Neonazismus und Krieg soll eingedämmt werden. Bürger mit Zivilcourage sollen diffamiert und mundtot gemacht werden.

Und was besonders skandalös ist: Michael Csaszkoczy wird vorgeworfen, sich nicht von der Einschätzung distanziert zu haben, dass es eine Kontinuität zwischen nationalsozialistischem Staat und der Bundesrepublik Deutschland gegeben habe.

Für diese Kontinuität stehe ich durch meine eigene Familiengeschichte:

Meine Großeltern, als Juden von den Nazis verfolgt, mussten mit ihrer Familie nach Frankreich fliehen und während der Hitlerokkupation in einem Versteck leben. Meine Eltern kämpften während der deutschen Besatzung in der



Résistance. Geschwister meines Vaters wurden nach Auschwitz deportiert und in den Gaskammern ermordet.

Als meine Eltern nach ihrer Rückkehr aus der Emigration die deutsche Staatsangehörigkeit beantragten, wurde sie ihnen lange Jahre mit der

Begründung verweigert, sie würden nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten, ausgerechnet ihnen, die als Widerstandskämpfer ihr Leben für ein demokratisches Deutschland riskierten.

Keine Probleme hatte man hingegen, die höchsten Stellen in der Verwaltung, der Wirtschaft, in den Medien, in der Justiz, mit Kräften zu besetzen, die schon den Nazis gedient und den faschistischen Terror mitgetragen hatten. Ehemalige Funktionsträger des NS-Staates konnten sogar Ministerpräsident, Bundeskanzler und Bundespräsident werden.

Den Vorsitz in meinem Prozesse am Hessischen Verwaltungsgerichtshof, der mich zum Verfassungsfeind stempelte, führte ein Richter, der während des Faschismus Stammführer der Hitlerjugend gewesen war.


Gerade auf diese Kontinuität in der deutschen Geschichte wurde in zahlreichen Protesten im In- und Ausland lautstark hingewiesen und eine breite Solidaritätsbewegung für die vom Berufsverbot Betroffenen entwickelt. „Le Berufsverbot“ hieß die für Franzosen nicht übersetzbare Vokabel . In einem Land,, das unter der faschistischen Besatzung gelitten hatte, konnte man nicht begreifen, dass denjenigen, die in der Tradition der Résistance standen, der Zugang zum Öffentlichen Dienst verweigert wurde.

Dass ich dennoch wieder in den Schuldienst eingestellt wurde, habe ich ausschließlich diesen Protesten zu verdanken. Das Anwachsen dieser Bewegung brachte die Bundesregierung in starke Bedrängnis und führte schließlich dazu, dass viele vom Berufsverbot Betroffene wieder eingestellt und die Berufsverbotspraxis aufgegeben werden musste.

Das aktuelle Berufsverbot für Michael Csaszkoczy trifft heute nicht nur ihn. Es ist ein Angriff auf die in der Verfassung garantierten demokratischen Grundrechte, ein Angriff auf die Meinungsfreiheit und das Recht, Kritik an gesellschaftlichen Misständen zu üben und für demokratische Veränderungen einzutreten.

Die Erfolge der 70iger Jahre sollten uns Mut machen, keine Ruhe zu geben, bis Micael Csaszkoczy wieder seinen Beruf als Lehrer ausüben kann. Es darf keine neuen Berufsverbote für Demokraten geben!