Redebeitrag Michael Csaszkóczys auf der Kundgebung am 29.1.2005


33 Jahre Radikalenerlass - 33 Jahre ist es her, dass Willy Brandt – ausgerechnet der Bundeskanzler, der mit dem Slogan 'mehr Demokratie wagen' in die Geschichte einging – gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Länder aufzeigte, wie wenig Demokratie in der BRD tatsächlich möglich und erwünscht ist.


33 Jahre Gesinnungsschnüffelei, Einschüchterung, Säuberung des öffentlichen Dienstes von allen SozialistInnen, AntimilitaristInnen, KomunistInnen und radikalen DemokratInnen haben in diesem Staat ihre tiefen Spuren hinterlassen.

Da hilft es nichts, dass Brandt den von ihm maßgeblich mitverantworteten Maulkorberlass später als historischen Fehler einstufte. Spätestens seit 1972 ist ausgemacht, dass eine Anstellung im öffentlichen Dienst mit einem gehörigen Maß an Konformismus und der Bereitschaft zum Duckmäusertum erkauft werden muss.


Kaum jemand findet es überhaupt noch bemerkenswert, dass dieser Staat sich einen Geheimdienst hält, der die eigenen StaatsbürgerInnen bespitzelt. Einen Geheimdienst, aufgebaut von ehemaligen Nazis, der seinen Feind immer schon links verortete und der mit all den schmutzigen Tricks arbeitet, die einem Geheimdienst so zur Verfügung stehen.

Es ist noch nicht lange her, dass das NPD-Verbotsverfahren gescheitert ist, weil sich herausstellte, dass dieser Geheimdienst mit Deutschlands wichtigster neonazistischer Partei finanziell und ideell so eng verflochten ist, dass nicht mehr festzustellen war, in wessen Auftrag und auf wessen Veranlassung hin die Nazis eigentlich ihr braunes Geschäft betrieben.


Ich möchte gern einige Vorkommnisse berichten, die mir in den letzten Wochen wiederfahren sind – keine besonderen Vorkommnisse, sondern alltägliche Realität in der BRD des Jahres 2005. Vor einigen Tagen war ich in Pforzheim von einer antifaschistischen Gruppe in ein Jugendzentrum eingeladen worden, um über mein Berufsverbot zu erzählen. Neben den ZuhörerInnen fanden sich auch zwei Herren ein, die sich als Beamte der Kriminalpolizei vorstellten und darauf bestanden, mit in die Veranstaltung zu kommen und mitzuschreiben. Als der Veranstalter Bedenken äußerte, drohten ihm die beiden, man könne auch dafür sorgen, dass die Antifa in diesem Jugendzentrum keine Veranstaltungen mehr durchführen könne. So saßen also die beiden staatlichen Spitzel mit im Raum und machten sich eifrig Notizen – Diskussionsfreiheit in der BRD im Jahre 2005.

Vor drei Wochen hatte eine Schülerzeitung aus dem Odenwald ein Interview mit mir geführt. Nach Intervention des Rektors musste ein Zusatz abgedruckt werden, dass sich die Redaktion ausdrücklich von meinen Antworten distanziere.

Die Verantwortlichen an meiner ehemaligen Schule haben vom Oberschulamt Weisung erhalten, sich in der Öffentlichkeit nicht mehr über meine pädagogischen und fachlichen Qualifikationen zu äußern.

In den letzten Wochen gab es in Heidelberg mindestens vier Versuche, junge Menschen für geheimdienstliche Spitzeltätigkeit anzuwerben, um von ihnen Informationen über antifaschistische Aktivitäten zu erfahren.

Wie gesagt, das sind Beispiele, die sicherlich nur die Spitze des Eisbergs darstellen, aber sie werfen ein bezeichnendes Licht auf die Verfassungsrealität in diesem Land.


Der Verfassungsschutz und mit ihm die Praxis der Berufsverbote, von der man lange Jahre glaubte, sie gehöre endgültig der Vergangenheit an, rechtfertigen sich mit schöner Regelmäßigkeit mit der Behauptung, unsere Demokratie müsse vor Extremisten von links und rechts geschützt werden und sie berufen sich dabei auf die Erfahrungen aus der Weimarer Republik. Das ist eine Geschichtslüge, wie sie dreister kaum vorstellbar ist. Die Weimarer Republik war niemals von links bedroht. Ihre Gegner standen rechts und sie fanden sich später nicht nur in führenden Positionen des Dritten Reiches wieder sondern ebenso in jenen der BRD – beispielsweise in Verfassungsschutz und Justiz, aber auch in den Führungsetagen der Konzerne, für die der Nationalsozialismus ein glänzendes Geschäft war und die heute wieder bei steigenden Profitraten die zunehmende Entrechtung und Enteignung derjenigen betreiben, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen oder wenigstens zu versuchen, sie zum Verkauf anzubieten.


Mit der Doktrin des Totalitarismus soll versucht werden, diese Gesellschaft auf sozialen Stillstand festzulegen. Nichts soll sich ändern, wer mitspielen will, tut gut daran, sich um einen Platz in der Mitte des politischen Spektrums zu bemühen – und dort sind immer Plätze frei.

Demokratie bedeutet aber gerade nicht gesellschaftlichen Stillstand, sondern die Möglichkeit, die Verhältnisse zu ändern und zum Besseren hin zu bewegen.

Für die Damen und Herren im Kultus- und Innenministerium bedeutet Demokratie offensichtlich 'Volksherrschaft' in einem Sinn, nach dem die obrigkeitsstaatliche Herrschaft weitergeführt wird, nur mit anderen ProtagonistInnen. Unten soll sich nichts rühren, alles muss bleiben wie es ist, wir leben – wie Voltaire es sarkastisch ausgedrückt hat - in der “besten aller möglichen Welten”.


Wie den meisten hier bekannt sein dürfte, wird mir zur Begründung des Berufsverbotes vor allem meine mangelnde Distanzierung von einer 'militanten Haltung' gegenüber alten und neuen Nazis vorgeworfen. Vorgestern – am 60. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee – wollten Neonazis in Heidelberg eine Kundgebung abhalten. Das Ordnungsamt, war in der Lage, den Nazis ihre angestrebte Kundgebung zu untersagen – allerdings nur unter Verweis auf die zu erwartende antifaschistische Gegenwehr. Mit anderen Worten: Ohne die militante Entschlossenheit der AntifaschistInnen gegen diese ungeheuerliche Provokation hätte die Stadt Heidelberg ihre Gedenkfeier im Angesicht demonstrierender Neonazis abgehalten. Gleichzeitig wird mit dem Vorwurf meiner mangelnden Distanzierung von antifaschistischer Militanz ganz staatsoffiziell meine berufliche Existenz zerstört. Es ist wohl nicht übertrieben, das als unglaubliche Heuchelei zu bezeichnen.


Tatsächlich geht es in meinem Fall aber um sehr viel mehr als nur um meine persönliche Situation. Es geht darum, ob das antidemokratische Instrument der Berufsverbote wieder Einzug hält in den politischen Alltag. Und es geht letzten Endes darum, ob missliebige Meinungen noch weiter ausgegrenzt werden als das heute schon der Fall ist. Es geht um die politischen Handlungsmöglichkeiten all derer, die nicht bereit sind, die Welt wie sie ist, als beste aller möglichen Welten zu akzeptieren.