Bunte Linke, Heidelberg, den 5. Mai 2004
 Bündnis für Demokratie, Solidarität, Umwelt und Frieden
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 69065 Heidelberg



 Frau Ministerin
 Dr. Annette Schavan
 Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg
Schlossplatz 4 70173 Stuttgart - Offener Brief - Sehr geehrte Frau Ministerin, mit tiefer Sorge erfüllt uns ein Vorgang, dem neben seiner konkreten Bedeutung ein grundsätzliches Gewicht zukommt; dieses tritt umso deutlicher hervor, je mehr der Vorgang in Beziehung gesetzt wird zu den konkreten politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Wenn wir uns an Sie wenden, dann in der Annahme, dass Sie mit uns gewisse Grundansichten und demokratische Maximen teilen. Zu diesen zählen wir etwa die Befürchtung, dass wir heute in einer Welt leben, die selbstloses politisches Engagement nicht honoriert, sondern Beliebigkeit und Gleichgültigkeit gelten lässt, was um so fataler ist, als sich dadurch die Wirkungen jener Ideologie, die sich als Neoliberalismus bezeichnet, um so verheerender ausbreiten können. Mit Recht haben Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, vor kurzem darauf verwiesen, dass Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft heute oft unter schwer verkraftbaren Bedingungen aufwachsen und so Gefahr laufen, Opfer einer rücksichtslosen Modernisierung zu werden. Dies gilt um so mehr, als metaphysische Ordnungen, verbunden mit Glauben, ihre orientierende Kraft weitgehend verloren haben und andere Quellen moralischen Handelns nicht an ihre Stelle treten. In Zeiten wie diesen kommt eine wesentliche orientierende Aufgabe der Funktion und der Person des Lehrers und Erziehers zu. Von ihr muss man verlangen, dass sie, so gut sie nur kann, Verbindlichkeiten gesellschaftlichen und moralischen Handelns vermittelt, die sich ableiten aus der politischen und gesellschaftlichen Verfassung unseres Staatswesens. Dazu gehören als Grundelemente die Bejahung und Förderung der Demokratie in all ihren Erscheinungsformen; dazu gehört auch die Forderung (nicht nur das Recht), einzutreten gegen menschenunwürdige Umtriebe und Manifestationen, wie sie insbesondere rassistische Übergriffe und Aufmärsche darstellen; dies muss angesichts der in und mit Deutschland gemachten Erfahrung mit aller Entschiedenheit des Engagements gelten. Gewiss teilen Sie mit uns die Ansicht, dass gerade der sich um die Demokratie verdient macht, der sich mit persönlichem Einsatz in dieser Weise für die Demokratie verwendet und so, wenn er Lehrer oder Erzieher ist, ein Beispiel gibt für notwendiges politisches Engagement und moralischen Sinn. Dies vorausgesetzt, werden Sie jene Mischung aus einer gewissen Verwunderung, Fassungslosigkeit und Betroffenheit verstehen, mit der wir von dem Fall des Realschullehrers Michael Csaszkczy gehört haben. Von ihm wissen wir, dass er eine antifaschistische, gegen Gewalt und Unterdrückung in jeder Form gerichtete Grundhaltung verbindet mit einem Engagement für Jugendliche, auch in der Intention, sie von Gewalt, Drogen, Kriminalität und Alkoholmissbrauch fernzuhalten. Den organisatorischen Rahmen für diese Bemühungen hat das in Heidelberg bekannte Autonome Zentrum gegeben, in dem die Jugendlichen das leben konnten, was ihnen die Gesellschaft zu leben oft verwehrt: Solidarität, Verantwortung, Rücksichtnahme, Diskussion und Entfaltung eigener Fähigkeiten. Es lässt sich sagen, dass nicht wenige Kinder gerade auch bürgerlicher Familien ihr Nicht-Abgleiten in den Drogenkonsum diesem Wirken des Autonomen Zentrums in Heidelberg verdanken. Diese wichtige Funktion und Wirkung ist im übrigen auch von der Oberbürgermeisterin der Stadt Heidelberg immer wieder betont worden. Wir wissen auch, dass Michael Csaszkczy sich verdient gemacht hat als Sprecher der Antifaschistischen Initiative Heidelberg, die für eine auf Solidarität basierende Gesellschaft eintritt, indem er beispielsweise Gegenaktionen bei neonazistischen Aufmärschen unterstützt hat. So vereinen sich in ihm, wie wir ihn kennen, Sanftmut des Umgangs mit Entschiedenheit des Engagements. Michael Csaszkczy hat eine Vorladung zu einer Anhärung beim Oberschulamt erhalten, weil "Erkenntnisse" - vom Verfassungsschutz zusammengetragen - vorlägen, die Zweifel erwecken könnten an seinem jederzeitigen Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung. Die Vorhaltungen, soweit sie bekannt sind, beziehen sich durchweg auf Aktivitäten, die einem demokratischen, sozial und gesellschaftlich verantwortetem Engagement entsprechen. Dies gilt zunächst für die Teilnahme an und die Anmeldung von Demonstrationen für bedrohte Flüchtlinge oder gegen Mietwucher und Wohnraumzerstörung. Es gilt auch für den ihm vorgehaltenen Einsatz zugunsten des Fortbestands des Autonomen Zentrums und es gilt in erhöhtem Maße für seine Teilnahme an Gegenaktionen bei angekündigten Aufmärschen neonazistischer Kräfte. Es gilt schließich auch für die ihm gleichfalls vorgeworfenen friedlichen Demonstrationen gegen den Irak-Krieg. Dass derartige Vorgänge zu Vorhalten des Oberschulamts taugen sollen, ist um so empörender, als es sich offensichtlich um Aktivitäten handelt, die eine lebendige Demokratie geradezu fordern muss. Wie sollten uns diese Vorgänge nicht zutiefst beunruhigen, da sie den Eindruck erwecken müssen, dass nicht das demokratische Engagement einen Bewerber zum Lehreramt qualifizieren soll, sondern viel eher Passivität und Gleichgültigkeit. Ein Staatswesen lebt von der Kritik seiner Bürger und es geht zugrunde, wenn es diese unterdrückt. Unsere Demokratie, wie sie heute ist, beruht auf dem Einsatz und dem Engagement derjenigen, die sich in der Vergangenheit für Demokratie und Menschenwürde eingesetzt haben; sie lebt heute und in Zukunft von der kritischen Beteiligung, der Phantasie und dem Einsatzwillen ihrer Bürger. Würde sie behaupten, ein nicht übersteigbares Endstadium darzustellen, wäre sie nicht nur maßlos in ihrem Anspruch, sondern auch unfähig zu ihrer Fortentwicklung. Ein guter Demokrat ist der, der die demokratische Substanz weitertreibt und den Bereich des Demokratischen in alle Lebensbereiche ausdehnt und gleichzeitig sich wehrt gegen Unterdrückung und Angriffe auf eben diese demokratische Grundsubstanz. Auf der Grundlage dieses Demokratieverstädnisses, von dem wir annehmen, dass wir es mit Ihnen teilen, ist das Vorgehen des Oberschulamts schlechthin unverständlich. Gegenüber besorgten Anfragen, die uns aus dem In- und Ausland erreicht haben, haben wir vorderhand darauf hingewiesen, dass es sich um Missverständnisse handeln muss. Wir bitten Sie, sehr geehrte Frau Kultusministerin, uns in unserem Bemühen zu unterstützen, damit wir auch weiterhin dem Eindruck entgegentreten können, demokratisches Engagement und Auftreten gegen neonazistische und antisemitische Umtriebe könnten heute in Deutschland Grund sein für Berufsverbote oder sonstige Benachteiligungen. Uns ist bisher noch kein vergleichbarer Fall bekannt, in dem sich die Demokratie gleichsam gegen sich selbst wendet. Eben dieser Umstand und nicht nur das offenbare persönliche Unrecht, das Herrn Csaszkczy treffen würde, ist es, der unser Schreiben an Sie veranlasst. Wir bitten Sie, keine Entscheidung zu treffen, die wir - und viele mit uns - als Demokraten nicht rechtfertigen und nicht vertreten könnten. Mit vorzglicher Hochachtung, Dr. Jutta Lindenborn - - - - Karin Mller-Fleischer - - - - Dr. Klaus Zimmermann (für die Bunte Linke)