Zurück in die Siebziger
Ein Gericht erklärt ein Berufsverbot gegen einen linken Lehrer für rechtens
Bekanntlich wird unser schönes Land bedroht durch Massenarbeitslosigkeit, demografischen Wandel und heimliche Umsturzbestrebungen linksradikaler Unterwanderer. Letzterem Missstand wird nun abgeholfen: Ein Verwaltungsgericht in Karlsruhe hat in der vergangenen Woche die Berufsverbote der Landesregierungen in Stuttgart und Kassel gegen einen linken Lehrer für rechtens erklärt. Und seit Montag kann man auch die Gründe für diese erstaunliche Entscheidung nachlesen. Man liest also und reibt sich verwundert die Augen.
Das Urteil schickt seine Leser auf eine Zeitreise zurück in die siebziger und achtziger Jahre — als hätten Historiker nicht dargelegt, wie sehr die damalige Schnüffelpraxis weite Teile einer Generation dem Staat entfremdete. Als hätte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof nicht den Sonderweg der deutschen Berufsverbote in deutlichen Worten verurteilt: als weit überzogenen Maßnahme, die nicht »in einem angemessenen Verhältnis zu dem damit verfolgten legitimen Zeck« stand, Deutschlands Rechtsordnung und Sicherheit zu schützen. So urteilte das Gericht, wohlgemerkt, über die Rechtspraxis der frühen achtziger Jahre, als es hierzulande linksradikale Strömungen von immerhin beachtlicher Stärke gab.
Und heute? »Das Fehlen jeder äußeren und inneren Bedrohung des Staates«, urteilte das Karlsruher Gericht, sei noch lange kein Grund, »mehr Meinungsvielfalt und Überzeugungsvielfalt« zu dulden als damals.
Auch in einem anderen Punkt bleiben die Richter der deutschen Tradition treu. Der . Menschenrechtsgerichtshof hatte gerügt, dass hiesige Gerichte den Worten und Taten der geschassten Beamten wenig Bedeutung beimaßen und ihre Urteile überwiegend auf die angebliche oder wirkliche Verfassungsfeindlichkeit ihrer Parteien stützten.
Und was kennzeichnet heute die verfassungsfeindlichen Bestrebungen jener Antifa-Initiative, von der sich der abgelehnte Bewerber angeblich nicht hinlänglich distanzierte?
Empört nahm das Gericht die These von der »Kontinuität zwischen nationalsozialistischem Staat und der Bundesrepublik Deutschland« zur Kenntnis. Da würden »die Grenzen einer legitimen Kritik unseres Staates und seiner Verfassung mit Augenmaß weit überschritten«.
Das immerhin ist neu: dass Lehrer gehalten sind, sich vom Stand der historischen Forschung zu distanzieren.
frank drieschner