Der schlimme Lehrer
Der Staatsfeind
Von Carsten Holm
In Baden-Württemberg lebt der längst totgeglaubte Radikalenerlass wieder auf: Das Stuttgarter Kultusministerium lehnt die Einstellung eines Lehramtsbewerbers ab, der als zu links gilt.
Ein junger Bürger hat sich verdächtig gemacht, der Staat lässt ihn vom Geheimdienst beobachten. Als der Bürger Lehrer werden will, warnen die Geheimen: Der Mann sei dem Staat nicht treu. Eine Kommission verhört den Bürger, seine Antworten missfallen den Kommissionären. Da verbietet ihm der Staat, Lehrer zu sein.
Ein bisschen Orwell und ein bisschen Kafka hat der Heidelberger Lehramtsbewerber Michael Csaszkóczy, 34, in den vergangenen Monaten erlebt, bis die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan (CDU) ihm jetzt die Einstellung als Lehrer versagte - "wegen Zweifel an seiner Verfassungstreue".
Fast vergessen schien der Radikalenerlass aus der Ära des SPD-Kanzlers Willy Brandt. Auf dieser umstrittenen Rechtsgrundlage sollten einst Extremisten aus dem Öffentlichen Dienst fern gehalten oder herausgedrückt werden; der Erlass traf zumeist Mitglieder der moskautreuen DKP. Mit dem Kommunismus dieser Schule konnte Csaszkóczy nie viel anfangen; er wird von Verfassungsschützern den so genannten Autonomen zugerechnet. Kein Zweifel: Er ist ein radikaler Linker. Aber ist er zu links für den Staatsdienst?
Begegnungen mit älteren Heidelbergern, die dem Widerstand gegen Hitler angehört hatten, prägten Csaszkóczy noch in seiner Schulzeit. Als Ende der achtziger Jahre landauf, landab Neonazis auf Straßen grölten und rechtsradikale "Republikaner" in die Landesparlamente einzogen, "war für mich klar, wo ich stehe", sagt der Pädagoge.
Csaszkóczy wollte nicht nur für sich selbst die Lehren aus der Nazi-Zeit ziehen, und so zog der Student der Kunst, Geschichte und Germanistik auf alternativen Stadtführungen mit Touristen durch Heidelberg. Er zeigte den Marktplatz, von dem damals Juden deportiert worden waren, und berichtete, dass Bürger dem schaurigen Spektakel schweigend zugesehen hatten.
Seine politische Heimat fand Csaszkóczy bei der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD), einem ziemlich bedeutungslosen Grüppchen von ein paar Dutzend Aktiven, das der Verfassungsschutz als linksextremistisch einstuft.
Wann immer sich das Grüppchen rührte und Csaszkóczy, mal in der Menge und mal an vorderster Front, dabei war, führte der Verfassungsschutz Buch über ihn. Die offenbar schlimmsten 20 Vorkommnisse fassten die Geheimen in einem Dossier für das Kultusministerium zusammen, als es jetzt um Csaszkóczys Einstellung als Lehrer ging. Wie ein Sammelsurium von Banalitäten liest sich das Papier, eher kläglich wirkt der Versuch, einen Staatsfeind zu kreieren. 1992, notierten die Verfassungsschützer etwa, sei der Heidelberger bei einer Demonstration für ein Asylbewerberheim, die teilweise gewalttätig verlief, in Gewahrsam genommen worden. 1993 habe er eine Demonstration gegen Mietwucher und Wohnraumzerstörung angemeldet. 1999 sei er bei einer Demo gegen die "Kriegspolitik der Nato und der BRD" aufgefallen, 2000 sei die Publikation "Rabatz 01"erschienen, "in der Herr Csaszkóczy namentlich erwähnt wurde".
Das war fein beobachtet, aber harmlos. Einmal, tatsächlich, tat der Bürger Csaszkóczy etwas, wofür er bestraft wurde. 2001 hatte er eine Demonstration gegen rechtsradikale Burschenschaften angemeldet. Dass aus der angemeldeten Demo eine illegale wurde, weil die Teilnehmer spontan zum Rathaus weiterzogen, wurde ihm zur Last gelegt. Das Verfahren wurde gegen eine Geldbuße von 200 Mark eingestellt. Ein bisschen wenig für ein Berufsverbot - zumal ihm nie Steinwürfe, Sachbeschädigung, Prügeleien mit Polizisten oder Vermöbeln von Neonazis vorgeworfen wurde.
Das nützte nichts, als eine vierköpfige Kommission von Verwaltungsbeamten im zuständigen Karlsruher Oberschulamt 105 Minuten lang Csaszkóczys Gesinnung prüfte. Er hatte sein Referendariat mit der Note 1,8 abgeschlossen, war dabei allenfalls wegen seiner Glatze, wegen der dünnen Zöpfe am Hinterkopf und den 17 Ringen am linken Ohr aufgefallen. Seine sehr ordentlichen Leistungen interessierten die Prüfer aber nicht, es ging um jenes Dossier des Geheimdienstes, nach dem er "in die autonome Szene eingebunden" ist.
Es sind vor allem zwei Sätze in einer Art Grundsatzpapier der Heidelberger Antifaschisten, die Csaszkóczy letztlich zum Verhängnis wurden: "Militanz, die sich durch angemessene Zielgerichtetheit, permanente Selbstreflexion, konsequente Abwägung und hohes Verantwortungsbewusstsein der Agierenden auszeichnet, betrachten wir als legitimes Mittel im Kampf um Befreiung", heißt es da. Und: An "den herrschenden Unterdrückungsverhältnissen" werde sich auf parlamentarischem Weg "nichts Grundlegendes ändern".
Die Kommission aus Verwaltungsbeamten fragte den Lehramtsbewerber, ob er sich zu dem Papier bekenne. Csaszkóczy, hielt die Kommission fest, stehe "persönlich hinter dem Inhalt der angesprochenen und zu den Akten genommenen Veröffentlichung".
Der Pädagoge räumt ein, dass die revolutionär anmutende Rhetorik "problematisch" ist. In einer anderthalbseitigen schriftlichen Erklärung für die Kommission hatte Csaszkóczy daher versichert, "Gewalt gegen Menschen oder Sachen" abzulehnen.
Die Heidelberger AIHD verstehe ihre Arbeit zudem als "parteiunabhängig", richte sich aber nicht gegen Parteien und Parlamente überhaupt. "Pauschal distanzieren wollte ich mich von unserer Plattform dennoch nicht", sagt er. "Wie kann man prinzipiell gegen Gewalt sein, wenn man die Gewalt der Widerständler gegen Hitler für moralisch geboten hält und feiert?"
Vielleicht hätte Csaszkóczy seine Stelle an einer Heidelberger Realschule schon im Februar antreten können, wenn er nur ein bisschen mehr den Erwartungen seiner Gesinnungsrichter entgegengekommen wäre - jetzt lebt er von Sozialhilfe. Vielleicht zielte der Verdacht seiner Mutter in die richtige Richtung, als sie ihn fragte: "Musst du immer so provozieren?"
"Ich konnte nicht anders", sagt Csaszkóczy. Er hat Widerspruch gegen die Entscheidung der Kultusministerin eingelegt, aber der wird kaum fruchten. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die sein Engagement für ein "Paradebeispiel politischer Einmischung" hält, will Csaszkóczy Rechtsschutz für die dann folgende Klage geben.
Ganz aussichtslos ist seine Lage nicht. Schon 1995 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die deutsche Praxis der Berufsverbote gegen Beamte für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt. Die Richter sprachen damals einer Lehrerin aus dem friesischen Jever, die 1987 wegen ihrer Mitgliedschaft in der DKP entlassen und erst vier Jahre später wieder eingestellt worden war, eine Entschädigung von 222 639 Mark zu.
Zum Thema in SPIEGEL ONLINE:
Springteufel Radikalenerlass: Berufsverbot für linken Lehrer (26.08.2004)
http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,314347,00.html