Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom 27.8.04


 Berufsverbot für linken Lehrer
 STUTTGART (tb). Wegen Zweifels an seiner Verfassungstreue darf ein
 34-jähriger Heidelberger nicht in den staatlichen Schuldienst. Diese
 Entscheidung gab Kultusministerin Annette Schavan (CDU) gestern bekannt.
 Damit wird zum ersten Mal seit 1993 für einen Lehramtsbewerber im
 Südwesten wieder ein Berufsverbot verhängt.
 Der Realschullehrer steht seit Sommer vergangenen Jahres auf der
 Bewerberliste als Realschullehrer. Das Oberschulamt in Karlsruhe hatte
 ihm im Dezember mitgeteilt, es bestünden Zweifel daran, ob er Gewähr
 dafür biete, jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung
 einzutreten. Diese Zweifel wurden offenbar bei einem "vertieften
 Bewerbungsgespräch" im April beim Karlsruher Oberschulamt nicht
 ausgeräumt. Dem Mann wird vorgeworfen, dass er seit 1992 Mitglied einer
 antifaschistischen Initiative ist und dort in "herausgehobener Position"
 gewirkt habe. Diese Gruppierung sei laut Schavan nach Erkenntnissen des
 Verfassungsschutzes linksextremistisch und bekenne sich "zu Militanz als
 legitimem Mittel im Kampf um die Befreiung". Die Ablehnung sei durch das
 Beamtengesetz abgedeckt.
 Kommentar: Wo sind die Radikalen? Seite 3
 Weiterer Bericht Seite 6

 (Stuttgarter Zeitung 27.08.04, Seite 1)

 
Berufsverbot für einen Pädagogen Wo sind all die Radikalen hin? Von Thomas Breining Seit 1993 ist es in Baden-Württemberg nicht mehr vorgekommen, dass ein Lehramtsbewerber wegen seiner mangelhaften Verfassungstreue nicht ins Klassenzimmer gelassen wird. Zwölf Jahre hat es gedauert, bis das Kultusministerium einen gefunden hat, den es verdächtigt, Kinder und Jugendliche möglicherweise extremistisch zu beeinflussen. Leben keine Radikalen mehr im Südwesten? Wollen sie nicht mehr Lehrer werden? Oder will sich einfach die Kultusministerin mit solch umstrittener Tatkraft profilieren? Es geht in Ordnung, wenn der Staat niemanden in seine Dienste lässt, der ihn untergraben will. Es ist auch nicht verwerflich, dass der Verfassungsschutz seine Erkenntnisse an andere Ämter weitergibt. Es wäre zu früh, allein darin den Rückfall in alte Zeiten zu erkennen, als in Deutschland die politische Gesinnungsprüfung fast noch wichtiger war als der fachliche Kompetenztest. Diese Verfassungsschutzroutine hat die Deutschen damals im Ausland viele Sympathien gekostet und im Inneren bei der überwiegenden Mehrheit der Verfassungstreuen das Misstrauen gegenüber der staatlichen Übermacht geschürt. Toleranz kann man so nicht glaubwürdig vorleben. Demokratie braucht aber Toleranz. Die Landesregierung muss sich also nicht wundern, wenn das alte Misstrauen schnell wieder geweckt ist und die staatlichen Selbstschutzvorkehrungen, wie sie im baden-württembergischen Beamtengesetz formuliert sind, in Frage gestellt werden. Radikale sind im Staatsdienst offenbar kein Massenproblem. Da ist es ein handhabbarer Vorschlag, den Betroffenen zur Probe unterrichten zu lassen. Missbraucht er seine Stellung, hat er die Chance vertan. Das Verfahren wäre transparenter - und demokratischer. (Stuttgarter Zeitung 27.08.04, Kommentar Seite 3)
Beamtengesetz besiegelt das Berufsverbot Innenministerium: Verfassungsschutz prüft Bewerber für den Staatsdienst nicht routinemäßig STUTTGART. Das Kultusministerium hat erstmals seit 1993 einen Lehramtsbewerber abgelehnt. Derweil wehrt sich das Innenministerium gegen den Eindruck, der Verfassungsschutz würde Bewerber für den Staatsdienst routinemäßig überprüfen. Von Thomas Breining Unter Willy Brandt wurde 1972, der so genannte Radikalenerlass erfunden. Er sollte politisch Radikale vom öffentlichen Dienst fernhalten. Im Land arbeiteten die Verfassungsschützer in der Folge im Jahr 30 000 bis 40 000 Anfragen ab, egal ob die Betroffenen Lehrer oder Briefträger werden wollten. Nachdem andere Bundesländer diesen Regelabfragen lange entsagt hatten, verzichtete auch Baden-Württemberg darauf, aber erst nach der deutschen Vereinigung. Auch heute, betont eine Sprecherin des Innenministeriums, "kann von routinemäßiger Prüfung keine Rede sein". Das Kultusministerium beruft sich bei seiner Entscheidung aufs Beamtengesetz, in dem vorgeschrieben ist, dass Beamter in Baden-Württemberg nur werden kann, wer - unter anderem - "die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt". Diese Bestimmung gilt für alle beamteten Staatsdiener, sei es in Finanz- oder Forstämtern, in Polizeirevieren oder Gerichtssälen. Ob sie jüngst auch in anderen Fällen bemüht wurde, war gestern nicht zu ermitteln. Spektakulär waren eventuelle Fälle offensichtlich nicht. Laut Kultusministerium gab es zwischen 1983 und 1993 zwölf Ablehnungen für Lehramtsbewerber, seither keine mehr. Dem jetzt Zurückgewiesenen wird vorgeworfen, dass er an herausgehobener Position für eine linksextremistische Gruppierung tätig sei, und das seit zwölf Jahren. Er hat sich von der Antifaschistischen Initiative Heidelberg auch nach Aufforderung nicht distanziert. "Demokratie muss sich gerade auch in staatlichen Schulen als wehrhaft erweisen, um Kinder und Jugendliche vor jeder möglichen extremistischen Beeinflussung zu schützen", begründete Kultusministerin Annette Schavan (CDU) die Entscheidung. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die den Pädagogen unterstützt, erklärt, er habe "als Student Jugendliche durch das Heidelberg der Nationalsozialisten" geführt, sich für den Erhalt eines autonomen Zentrums stark gemacht und Demonstrationen für bedrohte Flüchtlinge unterstützt. Außerdem habe er sich gegen deutsche Kriegseinsätze ausgesprochen. Die Heidelberger Grünen-Landtagsabgeordnete Theresia Bauer sieht in der Entscheidung einen "Rückfall in alte Zeiten". šDer Pädagoge solle doch zunächst als Angestellter übernommen werden. Dann werde man sehen, "wie er sich in der Klasse verhält". Er solle an seinen Taten gemessen werden. (Stuttgarter Zeitung 27.08.04, Seite 6)