SPIEGEL ONLINE - 26. August 2004, 14:43
 
 Radikalenerlass

 Berufsverbot für linken Lehrer

 Von Jochen Leffers

 Still geworden war es um die Berufsverbote, die in den siebziger Jahren
 für so viel Wirbel sorgten. Das ist vorbei. Baden-Württemberg lehnt die
 Einstellung eines Realschullehrers ab, weil das Land an seiner
 Verfassungstreue zweifelt: Michael Csaszkóczy ist in einer
 Antifa-Initiative aktiv - und plötzlich Staatsfeind Nummer eins.

 An schlechten Leistungen liegt es nicht. An der Pädagogischen Hochschule
 in Heidelberg hat Michael Csaszkóczy Deutsch, Geschichte und Kunst
 studiert. Nachdem er an einer Realschule sein Referendariat absolvierte
 hatte, schaffte er das zweite Staatsexamen mit 1,8. Das ist eine sehr
 vorzeigbare Note, und die Einstellung in den Staatsdienst schien schon
 fast sicher - zum 1. Februar dieses Jahres sollte Csaszkóczy eine Stelle
 als Realschullehrer im Raum Heidelberg bekommen.

 Zu links für eine Beamtenstelle: Verhinderter Lehrer Csaszkóczy
 Doch daraus wurde nichts. Im Dezember 2003 informierte ihn das
 zuständige Oberschulamt, es bestünden Zweifel, ob er jederzeit für die
 freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten bereit sei. Im April
 bat das Amt Csaszkóczy dann zu einem "vertieften Einstellungsgespräch".
 Eine pauschale Distanzierung von der Antifaschistischen Initiative
 Heidelberg lehnte er ab und reichte anschließend eine Stellungnahme nach.

 Seitdem lag der Fall - ungewöhnlich lange - beim baden-württembergischen
 Kultusministerium, das jetzt entschieden hat: Die Einstellung des
 Lehramtbewerbers sei "wegen Zweifels an dessen Verfassungstreue
 abgelehnt worden", teilte das Ministerium am Donnerstag mit. Er sei
 Mitglied einer antifaschistischen Initiative, die sich zu "Militanz als
 legitimes Mittel im Kampf um die Befreiung" bekenne; die Gruppierung
 werde vom Landesamt für Verfassungsschutz als linksextremistisch
 eingestuft. In das Beamtenverhältnis könne aber nur berufen werden, wer
 die Gewähr für Verfassungstreue biete.

 "Wer Mitglied in einer extremistischen Gruppierung ist, sich darin aktiv
 gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung stellt und Militanz
 als angemessenes Mittel der Auseinandersetzung ansieht, kann nicht als
 Lehrer in öffentlichen Schulen wirken", begründete Kultusministerin
 Annette Schavan (CDU) ihre Entscheidung, "Demokratie muss sich gerade
 auch in staatlichen Schulen als wehrhaft erweisen, um Kinder und
 Jugendliche vor jeder möglichen extremistischen Beeinflussung zu schützen."

 Schlimme Erinnerungen an die siebziger Jahre

 Seit 1989 ist der heute 34-Jährige politisch aktiv; von 1992 bis 2002
 wurde er vom Verfassungsschutz beobachtet. Als Student zeigte Csaszkóczy
 Jugendlichen die Spuren des Nationalsozialismus in Heidelberg, machte
 sich für den Erhalt eines Autonomen Zentrums stark und unterstützte
 Demonstrationen gegen die Abschiebung von Flüchtlingen. Er organisierte
 Proteste gegen Nazi-Aufmärsche und kritisierte deutsche Kriegseinsätze.
 Daneben ist er seit vielen Jahren Mitglied der Antifaschistischen
 Initiative Heidelberg, die sich selbst bezeichnet als "linksradikales"
 Bündnis von "AnarchistInnen, KommunistInnen, SozialistInnen, Autonomen,
 Feministinnen und solchen, die sich überhaupt kein Label anheften lassen
 wollen".


 Als sich die Nichteinstellung abzeichnete, hatte sich ein
 Solidaritätskomitee gegen Berufsverbote formiert, sammelte
 Unterschriften und bereitet für Oktober eine Demonstration vor. Nach
 Darstellung des Komitees geht es bei den Bedenken gegen Csaszkóczys
 Einstellung weniger um einzelne Äußerungen oder Handlungen, sondern
 hauptsächlich um seine Zugehörigkeit zur Antifa-Initiative. Und um deren
 Einstellung zur Militanz "als ein legitimes Mittel im Kampf um Befreiung".

 Exakt so begründet es nun auch das Kultusministerium: Der Bewerber sei
 seit Jahren immer wieder öffentlich und in herausgehobener Position als
 Mitglied der Antifa-Initiative aufgetreten. Diese Gruppierung stelle
 sich selbst als eine Organisation dar, die davon überzeugt sei, dass
 sich auf parlamentarischem Wege an "den herrschenden
 Unterdrückungsverhältnissen" nichts Grundlegendes ändern werde. Und dies
 begründe die Zweifel an der persönlichen Voraussetzung für eine
 Einstellung in den öffentlichen Schuldienst.

 Knüppel aus dem Sack?

 Damit ist Michael Csaszkóczy jetzt gewissermaßen Staatsfeind Nummer
 eins. Denn die einst so umstrittenen Berufsverbote aus politischen
 Gründen hat es schon seit vielen Jahren nicht mehr gegeben.


 Berufsverbot - das ist das böse B-Wort, das beinahe vergessen schien und
 zurückführt in den finsteren Teil der siebziger Jahre. Als Willy Brandt
 noch Kanzler war, verabschiedete die sozialliberale Bundesregierung 1972
 den "Erlass zur Beschäftigung von Radikalen im öffentlichen Dienst". Ins
 Visier gerieten vor allem Mitglieder der DKP - nicht nur Lehrer, sondern
 auch Postbeamte. Per Regelanfrage an den Verfassungsschutz wurden
 Bewerber für den Staatsdienst fortan überprüft, wie fest sie auf dem
 Boden des Grundgesetzes stehen.

 Der Radikalenerlass führte zu einer Vielzahl von Prozessen und
 Protesten. Rund 3,5 Millionen Bewerber für den öffentlichen Dienst
 wurden auf ihre Verfassungstreue durchleuchtet, 11.000
 Berufsverbotsverfahren gestartet und rund 1500 Bewerber abgelehnt oder
 aus dem Staatsdienst entfernt. In einer aufgeheizten Stimmung wehrten
 Linke sich vehement gegen "Maulkörbe" und "Gewissens-TÜV", gegen
 "Ausgrenzung", "Verfolgung", "Bespitzelung" und "Diskriminierung". In
 manchen Städten profitierte die DKP, die in einer Mischung aus Empörung
 und politischem (Mitleids-) Kalkül kräftig mitmachte, davon: Einige
 ihrer Mitglieder durften zwar nicht Lehrer werden, setzten sich aber in
 den Kommunalparlamenten fest.

 Der Radikalenerlass ist tot, aber er zuckt noch

 Das alles schien längst Vergangenheit. Seit gut zwei Jahrzehnten ist es
 ruhig um die politischen Berufsverbote. Von der Regelanfrage beim
 Verfassungsschutz haben sich die Bundesländer nach und nach
 verabschiedet. Auch Baden-Württemberg schaffte den Radikalenerlass als
 eines der letzten Länder 1991 ab.

 Die Regelanfrage ist damit ebenfalls weg, der Geist des formell
 beseitigten Erlasses wirkt aber offenbar fort - Knüppel aus dem Sack. In
 den letzten Wochen mehrten sich die Proteste gegen ein neuerliches
 Berufsverbot in Baden-Württemberg. Bei einem "so schwerwiegenden
 Eingriff in die Grundrechte" müsse die Landesregierung "nachweisen, dass
 Verhältnismäßigkeit gewahrt ist", schrieb zum Beispiel die
 Grünen-Abgeordnete Theresia Bauer an Kultusministerin Schavan. Die GEW
 forderte die sofortige Einstellung Csaszkóczys: "Es ist unerträglich und
 erschreckend, dass dieses undemokratische und diskriminierende Mittel
 aus den siebziger Jahren jetzt in Baden-Württemberg wieder angewendet
 wird", sagte letzte Woche der Landesvorsitzende Rainer Dahlem. Und
 GEW-Sprecher Matthias Schneider nannte Csaszkóczys Engagement ein
 "Paradebeispiel politischer Einmischung".

 Die GEW sieht keine Anhaltspunkte, dass der Realschullehrer im
 Unterricht gegen seine politische Neutralitätspflicht verstoßen habe.
 Die Landes-Asten-Konferenz will Unterschriften an den Hochschulen
 sammeln und äußerte "Zweifel an der Verfassungstreue der Landesregierung".

 "So krisengebeutelt ist der Kapitalismus auch nicht"

 Nun sollen die Schultüren für Michael Csaszkóczy tatsächlich
 verschlossen bleiben. Es gehe "keineswegs um politische
 Gesinnungsschnüffelei, sondern um heikle Fragen, die sorgfältig geprüft
 werden müssen", so ein Sprecher des Kultusministeriums.

 Während der Hängepartie in den letzten Monaten musste Michael Csaszkóczy
 sich mit Jobs über Wasser halten und gab zum Beispiel
 Nachhilfeunterricht. Mit der Ablehnung in Baden-Württemberg hatte er
 schon gerechnet und bereitete sich darauf vor. In der Gewerkschaft ist
 er schon seit vielen Jahren, seit seiner Studentenzeit, Mitglied, und
 die GEW gewährt ihm über die politische Unterstützung hinaus auch
 Rechtsschutz. Denn für den 34-Jährigen ist klar: "Natürlich werde ich
 klagen." Die Berufsverbote seien eine "antidemokratische Waffe aus
 Zeiten des kalten Krieges", sagte er in einem Interview.

 In der Augustausgabe der linken Zeitschrift "Konkret" zeigte sich
 Csaszkóczy verblüfft, dass ausgerechnet an seiner Person ein neuer
 Präzedenzfall hochgezogen werde: "So krisengebeutelt ist der
 Kapitalismus denn doch nicht, dass er sich von einer lokalen
 antifaschistischen Initiative bedroht fühlen müsste." Im Übrigen habe er
 nicht die "geringste Lust, in einen Wettbewerb um die staatsfrömmste
 Gesinnung einzutreten". Und um den Beamtenstatus gehe es ihm keineswegs:
 "Ich will Lehrer werden, weil ich gern Wissen und Fähigkeiten vermittle
 und gern mit Jugendlichen arbeite."

 Derzeit ist Michael Csaszkóczy auf Reisen und kommt erst Anfang
 September zurück. Auf seinem Anrufbeantworter gibt er einstweilen eine
 "Wochenlosung aus den Werken des Großen Vorsitzenden" bekannt. Sie
 lautet: "Ziehe die Augenbrauen zusammen, und du kommst auf einen guten
 Gedanken."

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