Spiegel Online, 07.09.2005
Linker
Lehrer darf auch in Hessen nicht unterrichten
Von
Jochen Leffers
Seine Antifa-Vergangenheit holte ihn ein:
Erst lehnte Baden-Württemberg die Einstellung von Michael
Csaszkóczy, 35, als Lehrer ab, nun das nächste Land. Zehn
Minuten vor Beginn seiner ersten Lehrerkonferenz schickte Hessen den
Bewerber in die ganz großen Ferien.
Freitagmorgen, der
letzte Tag der hessischen Sommerferien. Gegen 10 Uhr treffen die
alten und ein paar neue Lehrer der Martin-Buber-Schule im
südhessischen Heppenheim ein, weil eine halbe Stunde später
die erste Lehrerkonferenz für das neue Schuljahr beginnen soll.
Mitten unter ihnen: Michael Csaszkóczy, 35, neuer Kollege mit
Glatze und auffälligen 17 Ringen im linken Ohr. Der Lehrer für
Deutsch, Geschichte und Kunst hat sich bereits die Bücher für
das kommende Schuljahr geholt. Doch zehn Minuten vor Konferenzbeginn
klingelt das Telefon von Rektor Peter Kühn. Am Apparat ist ein
Mitarbeiter des Schulamtes und teilt Kühn mit, Csaszkóczys
Vertrag dürfe auf keinen Fall unterschrieben werden.
Csaszkóczy
hatte bereits eine schriftliche Einstellungszusage für die
Übernahme ins Beamtenverhältnis auf Probe vom Staatlichen
Schulamt erhalten - "unter der Voraussetzung, dass Sie die
allgemeinen Einstellungsvoraussetzungen erfüllen" (siehe
Bild unten). Aber nun hat offenbar das Innenministerium eingegriffen,
wie Rektor Kühn erfährt, als er die Konferenz sausen lässt
und direkt zum Schulamt fährt. Dort sagt man ihm, dass der neue
Lehrer wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue keinen Vertrag
erhalten dürfe.
Der Rektor ist konsterniert, Michael
Csaszkóczy erst recht. Er fährt an diesem Tag wieder nach
Hause und wartet seitdem auf eine Begründung seiner Ablehnung.
An den Noten und Zeugnissen lag es nicht: Das zweite Staatsexamen
nach dem Referendariat schaffte er mit 1,8 und setzte sich unter neun
Kandidaten der Martin-Buber-Schule als bester Bewerber durch. Dennoch
bekommt er die Stelle nicht.
Streitfrage: Was bedeutet
Militanz?
Csaszkóczys Geschichte wiederholt sich
damit: Schon einmal schien er eine feste Stelle als Lehrer fast
sicher zu haben, im Raum Heidelberg, also in Baden-Württemberg.
Doch dann bat ihn das Oberschulamt zu einem "vertieften
Einstellungsgespräch" im April 2004. Vor gut einem Jahr
entschied dann das baden-württembergische Kultusministerium, er
könne wegen Zweifeln an seiner Verfassungstreue nicht
eingestellt werden - genau wie jetzt in Hessen.
Als Mitglied der
Antifaschistischen Initiative Heidelberg hatte Csaszkóczy sich
zum Beispiel gegen Rechtsradikale engagiert, Jugendliche auf den
Spuren des Nationalsozialismus durch die Stadt geführt,
Demonstrationen gegen Mietwucher organisiert. Er war einer der
Wortführer der lokalen Autonomen-Szene und wurde zehn Jahre lang
vom Verfassungsschutz beobachtet. Vor allem zwei Sätze aus einem
Grundsatzpapier der Antifa-Initiative wurden ihm zum beruflichen
Verhängnis: "Militanz, die sich durch angemessene
Zielgerichtetheit, permanente Selbstreflexion, konsequente Abwägung
und hohes Verantwortungsbewusstsein der Agierenden auszeichnet,
betrachten wir als legitimes Mittel im Kampf um Befreiung." Und:
An "den herrschenden Unterdrückungsverhältnissen"
werde sich auf parlamentarischen Weg "nichts Grundlegendes
ändern".
Pauschal distanzieren von diesem Papier
wollte sich Csaszkóczy nicht, schob aber in einer
schriftlichen Stellengnahme für die Kommission die Erklärung
nach, dass er "Gewalt gegen Menschen oder Sachen" ablehne.
Ohnedies habe er sich nichts zuschulden kommen lassen, sei nicht
vorbestraft und ganz sicher auch nicht Staatsfeind Nummer eins, sagt
er heute.
Ein Platz in Schilys
Verfassungsschutzbericht
Das Kultusministerium in
Baden-Württemberg sah es anders. "Wer Mitglied in einer
extremistischen Gruppierung ist, sich darin aktiv gegen die
freiheitlich-demokratische Grundordnung stellt und Militanz als
angemessenes Mittel der Auseinandersetzung ansieht, kann nicht als
Lehrer in öffentlichen Schulen wirken", erklärte
Ministerin Annette Schavan (CDU) letztes Jahr. Csaszkóczy
legte vergeblich Widerspruch ein. Nun muss sich das
Verwaltungsgericht Karlsruhe mit dem verzwickten Fall befassen und
lässt sich damit Zeit, voraussichtlich bis Anfang 2006.
Das
hessische Kultusministerium argumentiert ähnlich wie die
baden-württembergischen Kollegen. "Wer das Grundgesetz
nicht achtet, hat in der Schule nichts verloren", sagte eine
Ministeriumssprecherin. Schon die Einstufung der Antifa-Initiative
durch den Verfassungsschutz als linksextremistisch lasse Zweifel an
der Verfassungstreue des Bewerbers aufkommen. Tatsächlich taucht
Csaszkóczy auf Seite 167 des Verfassungsschutzberichtes 2004
auf: als "Mitglied des Bundesvorstands der Roten Hilfe, der als
Realschullehrer wegen seines Engagements in einer
linksextremistischen, Militanz befürwortenden Gruppierung auf
absehbare Zeit nicht zum Schuldienst zugelassen ist".
Der
Pädagoge habe die Ablehnung seiner baden-württembergischen
Bewerbung in Hessen verschwiegen; auch das zeuge nicht von der
notwendigen Offenheit, sagte die Ministeriumssprecherin weiter.
Csaszkóczy indes kann über dieses Argument nur staunen:
"Was erwarten die denn?", fragt er, "soll ich mich an
einer Schule mit den Worten vorstellen: Guten Tag, ich habe in
Baden-Württemberg Berufsverbot, würden Sie mich bitte
einstellen?"
Rückblende: Weniger Demokratie
wagen
Berufsverbot ist das Signalwort, das die
Entscheidungen aus Baden-Württemberg und Hessen politische
Wellen schlagen lässt. Es erinnert an die Zeit, als Willy Brandt
noch Kanzler war - und 1972 den "Radikalenerlass" mittrug,
mit dem der Staat fortan Extremisten aus dem öffentlichen Dienst
fernhalten wollte. Die Regelanfrage beim Verfassungsschutz traf vor
allem Mitglieder der moskautreuen DKP.
Um die
Berufsverbots-Verfahren wurde es dann still, sie gerieten fast in
Vergessenheit. Nun aber entflammt der alte Streit wieder. So
protestiert der parteilose Abgeordnete Tobias Pflüger, der für
die PDS ins Europäische Parlament gewählt wurde, gegen eine
neue Ära der "Berufsverbote" und die "wissentliche
Verletzung des EU-Diskriminierungsverbots". Die
Bildungsgewerkschaft GEW spricht gar von einer "Hexenjagd"
durch die CDU und fordert die sofortige Einstellung Csaszkóczys
in Hessen, weil er sich "als qualifiziertester Bewerber
erwiesen" habe.
Organisationen der linken Szene stehen
Csaszkóczy ohnehin zur Seite, was mitunter zu seltsamen
Scharmützeln mit der Staatsmacht führt. So erschienen im
April Polizeibeamte zur Hausdurchsuchung beim Erlanger Verein zur
Förderung alternativer Medien. Es ging um drei Schweinderl auf
einem Plakat der Roten Hilfe, das Csaszkóczy mit einem
Vorhängeschloss an den Lippen abbildet, mitsamt der Zeile
"Baden-Württemberg - Wir können alles. Außer
Menschenrechte". Weil daneben das Landeswappen mit drei
springenden Schweinen (anstelle von Löwen) prangt, ermittelte
die Staatsanwaltschaft gleich wegen "Verunglimpfung des Staates
und seiner Symbole".
"Von oben nach unten
durchgegriffen"
Auch das eine skurrile Reminiszenz an
den düsteren Teil der siebziger Jahre. Seiner erneuten Ablehnung
kann Michael Csaszkóczy allerdings keine komischen Seiten
abgewinnen. Er muss vorläufig von Arbeitslosengeld II leben,
will aber unterrichten. "Auf die Verbeamtung lege ich es nicht
an. Mir geht es darum, mit Jugendlichen zu arbeiten, das ist der
Beruf, den ich gelernt habe", sagt er.
Peter Kühn,
Rektor der Heppenheimer Schule, möchte sich heraushalten aus dem
Konflikt zwischen dem Staat und dem schlimmen Lehrer, den er selbst
gar so schlimm nicht finden kann: "Wir waren uns sicher, dass
wir die richtige Wahl getroffen haben und Michael Csaszkóczy
der richtige Lehrer für unsere Schule ist." Kühn ist
seit 30 Jahren Lehrer und kennt die hitzigen Debatten über
Berufsverbote noch aus der eigenen Jugend. Er formuliert bedächtig,
äußert aber sein Unverständnis: "Überall
wird die Selbstständigkeit der Schulen propagiert und dann doch
von oben nach unten durchgegriffen", sagt er, "an unserer
Schule jedenfalls legen wir großen Wert auf Dialog."
Dann
muss Kühn wieder los und sich um die Stundenpläne kümmern.
Schließlich braucht er jetzt schnell Vertretungen für den
Unterricht eines fest eingeplanten Deutsch-, Geschichte- und
Kunstlehrers.