Karriere
Zu einem Gespräch über Gesellschaft, Ideologien, Macht und das gegen ihn angestrengte Berufsverbotsverfahren traf MEIER den Lehrer Michael Csaszkoczy in Heidelberg.
Michael Csaszkoczy fällt auf dem Neuenheimer Markt am Samstagmorgen auf, Dort, wo Salatgurken aus Holland im Sommer zwei Euro fünfzig kosten und Cayennes und SLCs um die wenigen Parkmöglichkeiten feilschen. Wir trinken einen Cappuccino und verschwinden in seinem Hinterhof um die Ecke, wo eines der letzten, zwar verfallenen, aber bezahlbaren Häuser in Neuenheim steht. Schön, ruhig, beschaulich, genauso eigentlich, wie die da draußen auf dem Markt das eigentlich wollen, Vogelgezwitscher und die sanfte Stimme von Michael Csaszkoczy, Heidelberger Lehrer und seit drei Jahren wegen seiner Mitgliedschaft bei der antifaschistischen Linken in ein Berufsverbotsverfahren hineingezogen.
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MEIER: Wie weit sind Sie mit Ihrer Doktorarbeit?
Michael
Csaszkoczy: Weniger weit als ich’s gerne hätte, aber es wird
schon sehr konkret.
MEIER: Worum geht es?
Csaszkoczy: Es geht
um Jugendkulturen und um Geschichtsbewusstsein. Es geht zum Beispiel
darum, wo sich Geschichtsbewusstsein in Jugendkulturen manifestiert,
in welcher Weise es dort als kulturelles Kapital genutzt wird. Es
geht auch um historische Vergleiche wie zum Beispiel der zwischen der
Wandervogelbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts und den Grufties.
MEIER: Nutzen wir das kulturelle Kapital der Jugendbewegungen
richtig?
Csaszkoczy: Ich scheue mich davor, daraus
pädagogisierende Konsequenzen zu ziehen. Das Fatalste für
Jugendkulturen ist eher ihre ständige Vereinnahmung durch die
Kulturindustrie und die Pädagogik – das ist natürlich der
Tod für jede Jugendkulturbewegung.
MEIER: Können wir
ein wenig über Ihre Kindheit reden?
Csaszkoczy: Können
wir auch.
MEIER: Was war Ihr erster Berufswunsch?
Csaszkoczy:
Zirkusclown.
MEIER: Wurde daraus wenigstens der Klassenclown?
Csaszkoczy: Ich war am KFG, da war das gar nicht so drin, ich war
auch kein schlechter Schüler, eher dann ein Außenseiter.
MEIER: Wann haben Sie begonnen aufzufallen?
Csaszkoczy:
Schwierige Frage – eigentlich habe ich mich nie bewusst bemüht,
aufzufallen. Angefangen zu engagieren habe ich mich, als die
Republikaner in Baden-Württemberg ins Parlament einzogen.
Richtig angefangen hat meine politische Bewusstwerdung nach einer
Veranstaltung mit Max Oppenheimer, der auch KFG-Schüler war, er
hat von seinen Erfahrungen in der NS-Zeit erzählt.
MEIER:
Gibt Ihre Familiengeschichte etwas für Ihr Engagement her?
Csaszkoczy: Nein. Ich kannte meinen Großvater nicht mehr.
Ein linkes Engagement war in meiner Familie eher außerhalb des
Diskutierbaren.
MEIER: Wurde und wird zuhause über Politik
geredet?
Csaszkoczy: Das Verhältnis ist okay, aber über
Politik reden mein Vater und ich nicht mehr.
MEIER: Wie kam denn
der Lehrerberufswunsch zu Ihnen?
Csaszkoczy: Als ich zu studieren
angefangen hatte, wurde uns geraten, offen zu sein, da hatte ich erst
mal rumstudiert. Der Lehrerberuf bot mir dann was Konkretes und
Bodenständiges.
MEIER: Und jetzt sind Sie als Absolvent mit
vorzüglichen Noten im Studium und Referendariat seit dreieinhalb
Jahren so etwas wie ein Verfassungsfeind. Wie hat das die Menschen um
Sie verändert?
Csaszkoczy: Das eine ist das, was in der
Öffentlichkeit berichtet wird. Im alltäglichen Umgang, vor
allem hier in Heidelberg, wunderten sich viele. Selbst CDU-Hardliner
wunderten sich, weil sie mich ja kennen, genauso die Verkäuferin
in der Bäckerei. Das Problem ist, dass in Internetforen ebenso
wie in nächtliche Kneipengesprächen jeder denkt, er sei
jetzt aufgerufen, auch seinen Senf über meine Person abzugeben –
ganz gleich, ob er irgendeine Ahnung hat oder nicht.
MEIER: Was
hat das letzte Urteil geändert?
Csaszkoczy: Jetzt wissen ja
alle, dass nicht ich, sondern der Staat sich dafür
rechtzufertigen hat, dass ich meinen Beruf nicht ausüben darf.
MEIER: Sind Sie so was wie ein Politstar?
Csaszkoczy: Nein,
aber im ersten Prozess fand ich richtig abgeschmackt, dass der
Regierungsdirektor gesagt hat, dass er mich interessant finde, mich
auch zu einer Abendgesellschaft zu sich einladen würde, seine
Kinder aber nicht von mir unterrichtet haben wolle. Das war eklig,
aber auch symptomatisch.
MEIER: Welches Problem haben er und
viele Eltern?
Csaszkoczy: Das liegt am System, nicht an den
Eltern. Ich habe das bei der Arbeit nie von Eltern erfahren. Ich habe
immer nur positive Rückmeldungen bekommen von Eltern, deren
Kinder ich unterrichtet habe. Auch wenn mich das Kollegium warnte,
ich solle mich gegen die Vorurteile der Eltern wappnen. Es kamen sehr
seriöse und gesetzte Leute zu mir und waren sehr offen. Mir
schien, dass die sogar dankbar waren, jemanden zu haben, der nicht
der Lehrernorm entspricht.
MEIER: Warum sind sich Lehrer so
ähnlich?
Csaszkoczy: Die Berufsverbotspraxis hat seit den
1970er Jahren zu einem enormen Anpassungsdruck geführt. Da es
keinen Kanon gibt, der festlegt, was zu tun und zu lassen ist,
versucht man schon mal, Dinge einfach nicht zu tun, die eventuell
Probleme schaffen könnten.
MEIER: Sie sind ja
Beamtenanwärter, haben Sie damit ein Identifikationsproblem?
Csaszkoczy: Über Sinn und Unsinn des Beamtentums lässt
sich trefflich streiten, aber als Beamter auf Widerruf habe ich
natürlich meinen Eid geleistet.
MEIER: Ohne doppelten Boden?
Csaszkoczy: Ja. Nur, man kommt ja leicht in die Rolle, das
Verhältnis zur Verfassung als quasireligiöses Bekenntnis
aufzufassen, was ich nicht angebracht finde. Viele Inhalte der
Verfassung wurden zuletzt von radikalen Linken verteidigt. Heinemann
antwortete mal auf die Frage, ob er Deutschland liebe, dass er seine
Frau liebe. Das finde ich angemessen.
MEIER: Die dauernde
Ablehnung geht ja schon an die Substanz und macht traurig. Haben Sie
daran gedacht, sich anzupassen?
Csaszkoczy: Nein. Es wurde von
mir zum Beispiel verlangt, dass ich dem Satz “… Militanz ist für
uns ein legitimes Mittel im Kampf um Befreiung …” abschwöre.
Das hätte ich als abgeschmackt gefunden gegenüber Leuten,
die im Nationalsozialismus Widerstand geleistet haben.
MEIER: Zu
Diskutieren war da nicht drin? Die müssen doch auch verstehen,
dass Militanz an sich nicht gut oder schlecht ist, sondern dass es
darauf ankommt, was man damit macht…
Csaszkoczy: Der
Verfassungsschutz hatte damals über das Innenministerium
gedrängelt, mir Berufsverbot zu geben.
MEIER: Wer hat Ihnen
die Hand gehalten?
Csaszkoczy: Es gab damals viele, die mir mehr
bedeuteten als die Leute vom Kultusministerium. Alleine hält man
das nicht durch. Es wurde dann auch ein Projekt, das nicht mehr in
erster Linie mit meiner Karriere zu tun hatte.
MEIER: Haben Sie
sich nicht auch gefallen?
Csaszkoczy: Es hat eher meinen
Kampfgeist angestachelt. Es hat mich nicht gewundert, dass der
Geheimdienst sich so verhält. Auch solche Geschichten wie
Oettingers Filbinger-Rede zeigen, dass die nationalsozialistische
Vergangenheit eben noch lange nicht vergangen ist – bis hinein in
die Führungskreise dieser Gesellschaft. Das erfordert nach wie
vor kritisches Engagement und Widerspruch.
MEIER: Wie sehen Sie,
dass die Kinder angepasster, letztlich unpolitischer werden und dass
sie zunehmend an sozialer Kompatibilität und wirtschaftlichem
Erfolg gemessen werden?
Csaszkoczy: Fatal für die Chancen
der Heranwachsenden, aber auch für unsere Gesellschaft. Nach der
Totalitarismus-Doktrin, von der der Verfassungsschutz lebt, ist Links
gleich Rechts ist und nur die Mitte gut. Was die Grünen noch vor
ihrem Regierungsantritt in ihrem Programm stehen hatten, wäre
heute schon ein Fall für den Verfassungsschutz: Zum Beispiel die
Abschaffung der Bundeswehr und der Geheimdienste.
MEIER: Werden
wir vereinheitlicht?
Csaszkoczy: Alle wissen: Die Gesellschaft
braucht Veränderung, denn so wie sie läuft, läuft sie
nicht gut. Aber alles, was über den Status Quo hinauszudenken
wagt, wird vom Staat zurechtgestutzt, damit Widerstand unmöglich
wird.
MEIER: Respekt?
Csaszkoczy: Kommt darauf an wovor? Vor
Menschen und Menschlichem immer. Viele wundern sich wegen meines
Outfits, dass ich ein Mensch bin, der durchaus auf Konventionen Wert
legt.
MEIER: Wandeln wir uns nicht vielleicht von einer
ideologisch geprägten Gesellschaft zu einer von Ideen geprägten
Gesellschaft?
Csaszkoczy: Dafür ist der Marxismus in meinem
Denken doch zu präsent. Es geht letztlich in einer Gesellschaft
um ganz reale Machtinteressen, und die werden auch durchgesetzt.
MEIER: Ist ein guter Linker nicht immer auch ein guter Liberaler?
Csaszkoczy: Ja, das kommt auf die Auffassung von liberal an. Im,
Sinne von freiheitsliebend ja.
MEIER: Ist es nicht so, dass das
Linke ein System gegen die Unfähigkeit zur Freiheit anbietet?
Csaszkoczy: Ich sehe nach wie vor die Schlagwörter der
Französischen Revolution für zentral an. Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit, wobei ich das letzte mit Solidarität
übersetzen würde.
MEIER: Bedeutet Karriere links nicht,
dass man nicht allein, sondern nur gemeinsam Karriere macht.
Csaszkoczy: Das allein wäre freilich illusorisch, da muss
man schon zugleich seinen eigenen Platz finden.
MEIER: Woher
kommt die ästhetische Nähe zu Rechts?
Csaszkoczy: So
generell würde ich diese Nähe ja bestreiten. Im Großen
und Ganzen ist linke Ästhetik mit rechter durchaus inkompatibel.
Was es aber gibt, ist ein gängiges jugendkulturelles Spiel von
Aneignung und Wiederaneignung kultureller Codes.
MEIER: Leben wir
in einem Rechtsstaat?
Csaszkoczy: Ja. Wobei Recht und
Gerechtigkeit durchaus nicht in Eins fallen müssen. Gerade in
meinem Berufsverbotsverfahren hat sich ja gezeigt, dass auch von
staatlichen Stellen Unrecht geschieht. Nicht immer allerdings wird
es, wie in meinem Fall, korrigiert.
MEIER: Wie geht es
idealerweise weiter?
Csaszkoczy: Idealer Weise werde ich bald als
Lehrer arbeiten. Wenn das Land sich nichts neues ausdenkt, mich nicht
anzustellen, was dazu führen würde, dass alles von vorne
losgehen würde.
MEIER: Dann orientieren Sie sich um?
Csaszkoczy: Ich habe ja schon viel gelernt in den Jahren,
schreibe die Doktorarbeit. Klein beigeben werde ich aber sicher
nicht.
MEIER: Und wenn jetzt die Stelle kommt für’s
nächste Schuljahr
Csaszkoczy: Gut.
MEIER: Reihenhaus,
Kinder, Kombi,...
Csaszkoczy: Nichts gegen all das. Ich glaube
dennoch, dass ich mich wohler fühlen werde inmitten von Leuten,
die sich um Veränderung der Gesellschaft bemühen und auch
jetzt schon anders leben wollen.
MEIER: Immer am Rande der Mitte?
Csaszkoczy: Ich erinnere mich an Peter Gingold, einen jüdischen
Kommunisten, der in der Resistance gekämpft hat und der letztes
Jahr mit 90 Jahren starb. Er erzählte mal, dass er immer noch
gelegentlich in der U-Bahn schwarz fährt, um das Gefühl der
Rebellion und Widerstands zu haben. Ich finde das sympathisch.
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Michael Csaszkoczy - Doktor statt Lehrer?
Michael Csaszkoczy ist 37, Heidelberger, Lehrer, Mitglied der antifaschistischen Linken und seit drei Jahren bundesweiter Medienliebling wegen eines Berufsverbotsverfahrens. Denn das Kultusministerium verweigert ihm eine längst überfällige Stelle. Vor Gericht wurde jetzt festgestellt, dass er sich nichts vorzuwerfen hat. Jetzt ist der Staat wieder dran, sich entweder was Neues auszudenken, um ihn aus der Schule zu halten, oder um ihm die Beamtenstelle anzubieten, für die er hart gearbeitet hat und die es ihm ermöglicht, seinen Beruf auszuüben. Einstweilen wurde er Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung und schreibt an einer Doktorarbeit.
Interview: Erik Schmid