Konkret, Juli 2006


Gewähr bei Fuß


Das Verwaltungsgericht Karlsruhe schreibt deutsche Geschichte, wie sie furchtbaren Juristen gefällt.

Von Michael Csaszkóczy



Im August 2004 hatte das baden-württembergische Kultusministerium unter Anette Schavan beschlossen, daß meine Mjtglied-schaft in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) mich für den Lehrerberuf untauglich macht, und damit die Berufsver­botspraxis der siebziger Jahre wiederbelebt. Am 10. März dieses Jahres hatte das Verwaltungsgericht Karlsruhe über den Fall zu befin­den. Das Gericht tat, was Ministerium und Verfassungsschutz von ihm erwarteten: Es bestätigte das Berufsverbot.

Mag man von dem Ergebnis auch wenig überrascht sein, die Begründung, die die Richter der Öffentlichkeit präsentierten, ist bemerkenswert:

Auch wer aus übersteigerter Sensibilität für bestimmte positive Prinzipien oder aus lebensfremdem Idealismus heraus unseren Staat und das Handeln seiner Verfassungsorgane wegen stets möglicher Mißstände verachtet, grundsätzlich ablehnt und bekämpft, ist als Beamter dieses Staates ungeeignet, weil er die besondere Treuepflicht wegen seiner ablehnenden inneren Einstellung nicht garantieren kann ... Auch wer aus moralischem Rigorismus, Naivität oder Leichtgläubigkeit eine Gruppe unterstützt, von der sich ein Beamter distanzieren müßte, handelt gegen die beamtenrechtliche Treuepflicht.

Welche Eigenschaften einer lokalen Antifa-Initiative erfordern nun nach Ansicht des Gerichts eine Distanzierung und von welchen „stets möglichen Missständen“ ist die Rede oder soll vielmehr nicht die Rede sein? Die AIHD - so das Gericht - habe die Grenzen einer legitimen Kritik unseres Staates und seiner Verfassung mit Augenmaß weit überschritten und zwar insbesondere mit folgenden Äußerungen, die einem Positionspapier der Gruppe entstammen: „Im Deutschland der neunziger Jahre sind gewalttätige rassistische Angriffe zur Normalität geworden“ und es gebe eine „Kontinuität zwischen nationalsozialistischem Staat und der Bundesrepublik Deutschland“.

Was die alltägliche Gewalt gegen Menschen anderer Hautfarbe oder Herkunft angeht, so hätte man wohl erwarten dürfen, daß

das Gericht zumindest die einschlägigen Berichte der Bundesregierung zur Kenntnis nimmt, die nicht umhinkommen, diese Tatsache zu benennen. Wirklich kurios wird es aber, wo die Karlsruher Richter sich als Nachhilfelehrer in Sachen deutscher Geschichte aufspielen. Selbst in der „Zeit“ wurde das Urteil von Frank Drieschner mit den Worten kommentiert: „Das immerhin ist neu: daß Lehrer gehalten sind, sich vom Stand der historischen Forschung zu distanzieren.“

Dabei hätte sich das Gericht nur mit den einschlägigen juristischen Texten und der Geschichte der Berufsverbote beschäftigen müssen, um die Wahrheit der inkriminierten Äußerungen zu überprüfen. Die juristische Grundlage für die Entfernung politisch mißliebiger Personen aus dem öffentlichen Dienst findet sich in den deutschen Beamtengesetzen. Dort heißt es, für den Staatsdienst ungeeignet sei, wer „nicht Gewähr dafür bietet, jederzeit einzutreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung“.

Die Formulierung ist nicht neu. 1933 erließen die Nationalsozialisten das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“, mit dem Juden und Kommunisten (oder wen die Nazis dafür hielten) aus dem Staatsdienst entfernt werden sollten. Das Gesetz war der erste juristische Schritt zur Verfolgung, Entrechtung und Ermordung der Jüdinnen und Juden, aber auch zur Ausschaltung der politischen Opposition. In Paragraph 4 hieß es: „Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden.“ Die Formulierung des „jederzeitigen Gewähr-Bietens“ öffnete die Tür für eine „Gesinnungsprognose“, die sich bei den Nazis wie auch später unter Adenauer und schließlich unter Willy Brandt vornehmlich an der aktuellen oder ehemaligen Mitgliedschaft in einer linken Organisation festmachte.

 

Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit  rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden“

 

1941 begründete ein junger aufstrebender SA-Rottenführer in seiner juristischen Dissertation, warum mit Journalisten auf dieselbe Weise zu verfahren sei, und erläuterte, wie die Presse am besten von Juden und anderen Elementen gesäubert werden könne, die sich „als Schädlinge an Volk und Staat“ erwiesen hätten. Der Name des karrierebewußten Juristen war Willi Geiger. Als Staatsanwalt beim Sondergericht Bamberg wirkte er später an Todesurteilen mit und sorgte dafür, daß die Exekutionen auf Plakaten bekanntgegeben wurden.

Schon vier Jahre nach der Zerschlagung des Naziregimes hatte Geiger in der jungen BRD die Leitung des Verfassungsreferates des Bundesjustizministeriums übernommen und stieg anschließend zum Senatspräsidenten am Bundesgerichtshof und am Bundesverfassungsgericht auf. Als solcher war er 1975 als Berichterstatter an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich beteiligt, die den Berufsverboten der Brandt-Ära die höchsten richterlichen Weihen gab und auf die sich Kultusministerium wie Verwaltungsgericht auch im Jahr 2006 wieder berufen. Wesentliche Argumentationslinien konnte Geiger dabei direkt aus seiner Dissertation von 1941 übernehmen (mehr dazu bei Otto Köhler: Wir Schreibmaschinentäter. Köln 1989, S. 153 ff.). Insofern war es nur konsequent, daß Geiger seinen im Dienst am nationalsozialistischen Staat erworbenen Doktortitel stolz unter das Urteil von 1975 setzte.

Ein weiterer treuer Diener des Staates - des nationalsozialistischen wie des späteren bundesrepublikanischen - war Hans Filbinger. Der ehemalige NS-Marinerichter, der niemals verstanden hat, warum ihm seine Beteiligung an nationalsozialistischen Justizmorden in der BRD zum Vorwurf gemacht wurde („Was gestern Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“) sorgte als Ministerpräsident dafür, dass die Handhabung des Radikalenerlasses in Baden-Württemberg zu den rigidesten in der BRD zählte - der Feind stand nach wie vor links. Noch heute wird der furchtbare Jurist in Dankbarkeit als Ehrenvorsitzender des CDU-Landesverbandes hofiert.

In Deutschland vom Faschismus zu sprechen heißt immer noch, im Haus des Henkers vom Strick zu reden. Wie hatte Willi Geiger noch in seiner Dissertation von 1941 über „Die Rechtsstellung des Schriftleiters“ geschrieben? „Über der uneingeschränkten Pflicht zur Wahrheit steht die Pflicht zur Pflege des Gemeinwohls. Den höheren Interessen des Staates gegenüber ... muß im Konfliktfall auch die Wahrheit sich Bindungen gefallen lassen; sie muß dann zwar nicht verfälscht, aber totgeschwiegen werden.“

 

Der vollständige Text des Urteils vom 10.03.2006 findet sich unter www.gegen-berufsverbote.de

 

Literatur:

Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt a. M. 2003, S. 177

Otto Köhler: Wir Schreibmaschinentäter. Köln 1989, S. 153 ff.

Ingo Müller: Furchtbare Juristen. München 1987, S. 220 f.

Michael Csaszkóczy schrieb in KONKRET 9/01 über die Rehabilitierung von NS-Euthanasietätern anläßlich der Eröffnung der „Sammlung Prinzhorn“ in Heidelberg