Kassiber (SchülerInnenzeitung , Eberbach,
Hohenstauffen-Gymnasium)
Ausgabe Nr.1 – November 2004
Kolja
Swingle
Zwei
Demokraten und ein Berufsverbot
Der Fall Csaszkóczy
Michael Csaszkóczy nimmt die Verfassung
ernst. Es sei notwendig, sagt er, auf den Widerspruch zwischen
Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit hinzuweisen. Schon
lange ist der Heidelberger politisch aktiv. Für ein
selbstverwaltetes Jugendzentrum in Heidelberg, das sogenannte
Autonome Zentrum, für antifaschistisches Engagement und
Aufklärung, gegen deutsche Kriegseinsätze, gegen
Abschiebung von Flüchtlingen, für all das streitet er auf
demokratischem Wege. Mit Demonstrationen, Flugblättern, Aufrufen
und Interviews setzt er sich ein. Strafbar macht der 34 Jährige
sich dabei nicht. Sein Aktivismus bleibt legal. Lehrer will er auch
werden. Nach einem Referendariat an der Theodor-Heuss Realschule und
einem Einser-Staatsexamen, war ihm für letzten Februar ein
Lehrposten zugesagt worden.
Zweifel an Verfassungstreue
„Demokratie muss sich gerade auch in staatlichen Schulen
als wehrhaft erweisen, um Kinder und Jugendliche vor jeder möglichen
extremistischen Beeinflussung zu schützen“, meint die
Kultusministerin von Baden-Württemberg, Annette Schavan. Im
Falle von Michael Csaszkóczy habe sich die Demokratie zu
wehren. „Wer Mitglied in einer extremistischen Gruppierung ist,
sich darin aktiv gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung
stellt und Militanz als angemessenes Mittel der Auseinandersetzung
ansieht, kann nicht als Lehrer in öffentlichen Schulen wirken“,
so ihre Begründung ihn nicht einzustellen. Sie beruft sich auf
den Verfassungsschutz, der seit 15 Jahren Michael Csaszkóczy
überwacht und seine Antifa-Gruppe als „linksextrem“
einschätzt.
Radikalenerlass wirkt nach
Zwanzig
Jahre ist es her, dass zuletzt Beamte wegen ihrem politischem
Engagement nicht für den Staat arbeiten durften. "Berufsverbot"
wurde das genannt. Die gesetzliche Grundlage stammt vom
Radikalenerlass von 1972, der weiterhin im Landesrecht zahlreicher
Länder fortbesteht und durch welchen seit den 70er Jahren mehr
als 3.5 Millionen Menschen mit einer Regelanfrage überprüft
wurden. Ca. 10.000 Menschen wurde der Eintritt in den öffentlichen
Dienst verwehrt und 130 Menschen wurden entlassen. 1995 rügte
der Europäische Gerichtshof die Bundesrepublik und wertete das
Berufsverbot als Verstoß gegen die Grundrechte auf Meinungs-
und Vereinigungsfreiheit.
Proteste und Demonstrationen
Bürgerrechtsgruppen und Gewerkschaften protestieren
gegen das Berufsverbot. Sie kritisieren die Entscheidungsfindung, die
sich nicht auf konkretes Verhalten, das gerichtlich oder
strafrechtlich verfolgbar wäre, sondern die sich auf eine
unterstellte Gesinnung stützt. Die Beurteilungskompetenz der
Behörden Organisationen und Aktivitäten als
„verfassungsfeindlich“ zu bezeichnen, scheint zweifelhaft. Die
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert die sofortige
Einstellung Csaszkóczys: „Wir brauchen gerade in unseren
Schulen Lehrkräfte, die sich für demokratische Werte und
Ideen einsetzen. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass Csaszkóczy
in seinem Referendariat gegen seine politische Neutralitätspflicht
verstoßen hat“, sagt der Landesvorsitzende Rainer Dahlem. "Es
ist unerträglich und erschreckend, dass dieses undemokratische
und diskriminierende Mittel aus den siebziger Jahren jetzt in
Baden-Württemberg wieder angewendet wird". Die
Heidelberger Abgeordnete der Grünen, Theresia Bauer, meldet
sich auch zu Wort: „Wenn es, berechtigt oder nicht, Zweifel daran
gibt, ob sich der betreffende Lehramtsanwärter im Rahmen der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegt, soll man ihn erst
mal als Angestellten ins Lehramt übernehmen. Im Laufe der Zeit
wird man dann sehen, wie er sich in der Klasse verhält. An
seinen Taten soll man ihn messen, nicht an seiner Gesinnung.“
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"Ich bin 15 Jahre lang vom Geheimdienst überwacht
und bespitzelt worden"
IM GESPRÄCH : Michael
Csaszkóczy über den eingelegten Widerspruch beim
Kultusministerium und sein Verständnis von Demokratie
KASSIBER: Wie ging man an deiner Schule mit dem
Berufsverbot um? Hast du Reaktionen von deinen ehemaligen Schülern
erhalten?
CSASZKÓCZY: Naja, das mit meinen Schülern
und Schülerinnen ist ein bisschen schwierig zu sagen, weil ich
schon ganz lange aus der Schule draußen bin. Es sind eineinhalb
Jahre jetzt, die ich nicht mehr dort war. Ich hatte dann Gelegenheit
noch einmal mit Schülern zu reden, weil ein Fernsehteam an der
Schule war und eine Diskussion gefilmt hat. Ich war ganz gerührt,
wie klar die gesagt haben, sie wollen mich wieder haben und sie
fänden das furchtbar. Das war eigentlich die Reaktion, bei allen
sehr parteiergreifend für mich.
Und die Kollegen, die du
kennen gelernt hast, Lehrer und vielleicht Eltern?
Von
Eltern, von denen ich gehört habe, gab es ebenfalls eigentlich
nur unterstützende Äußerungen. Bei den Kolleginnen
und Kollegen privat habe ich nur Unterstützendes gehört.
Allerdings, offiziell ist das immer ein bißchen schwierig.
Lehrer sind ohnehin nicht unbedingt die mutigsten Menschen der Welt.
Zusätzlich ist es so, dass da vom Oberschulamt und vom
Kultusministerium ganz gewaltig Druck ausgeübt wird. Da gibt es
einige, die sagen dann beispielsweise gegenüber der Zeitung, was
sie denken oder auch wie ich als Lehrer war, aber sagen dann
gleichzeitig dazu, aber bitte anonym und nicht verraten.
Was
ist jetzt dein Motiv zu lehren? Gibt es ein Konzept als Pädagoge
und Antifaschist oder ist es einfach das Unterrichten an sich?
Das
hat nichts mit einer bestimmten politischen Richtung zu tun. Ich
denke, eigentlich sollte ja jeder, der sagt er hat Spaß daran
zu Unterrichten, und er hat Spaß daran Wissen und Fähigkeit
zu vermitteln, eine Idee im Kopf haben von Emanzipation, davon, dass
diejenigen, die da was lernen, zu selbstständigeren, freieren,
eigenständig denkenden Menschen werden. Das ist allerdings so
etwas allgemeines, dass ich das von jedem Lehrer und jeder Lehrerin
erwarten würde und nicht nur von einer bestimmten politischen
Richtung.
Wenn du Interviews gibst, beziehst du dich immer
sehr auf Verfassung und auf die Demokratie, was auch die
Kultusministerin macht, die dafür ist, dass du nicht ins
Schulsystem kannst. Warum sieht sie die Demokratie so anders als du.
Warum wollen sie dich ausschließen, wenn sie Demokratie
proklamieren und du auch?
Das ist eine Frage, die du eher der
Kultusministerin stellen solltest. Ich denke schon, dass es da ein
grundlegendes unterschiedliches Verständnis von Demokratie gibt.
Wenn du dir anschaust, was das Kultusministerium sagt. Die wollen
eigentlich immer, dass alle möglichst in einem sehr engen Rahmen
denken, der sich in der politischen Mitte bewegt, – und sie wollen
alles ausgrenzen, was aus diesem Rahmen rausfällt, vertreten
aber im Grunde auch die Auffassung, dass etwas Grundlegendes in
dieser Gesellschaft nicht mehr zu verändern ist, weil diese
Gesellschaft so gut ist, wie sie ist. Das ist nicht mein Verständnis
von Demokratie. Demokratie heißt gerade nicht, so wie es ist,
ist es gut und so muss es bleiben, sondern Demokratie beinhaltet auch
die Möglichkeit und die Vorstellung diese Welt könnte ganz
anders sein.
Kannst du Bezug auf irgendjemanden nehmen, der
für dich demokratisch eintritt, geschichtlich zum Beispiel.
Ich denke, es gibt eine ganze Menge von Menschen, die für
mich ein Vorbild von Demokratie sind. Es gibt eine ganze Menge von
politischen Bewegungen, die da Beispiele geben.
Ganz allgemein
kann man sagen, mir geht es in erster Linie um politische Bewegungen,
für die Demokratie mehr bedeutet hat, als alle vier Jahre ein
Kreuz bei irgendwelchen Wahlen zu machen. Demokratie ist zum Beispiel
etwas, dass durchaus auch in Bereichen der Wirtschaft stattfinden
kann, auch in Bereichen, in denen wir uns heute gar nicht vorstellen
können, dass dort Demokratie herrschen könnte, sprich jetzt
vom Militär, oder sonst etwas, wo ganz klare autoritäre
Befehlsstrukturen sind.
Ich denke, es gibt noch ganz viele
Bereiche in der Gesellschaft, die demokratisiert werden können.
Ein ganz wichtiger Bezugspunkt nach wie vor – und das war es für
viele Leute, die ähnlich gedacht haben oder ähnlich denken
wie ich – ist die Pariser Commune, wo Demokratie in einer sehr
radikalen, also von der Wurzel her die Sache angreifenden Form gelebt
und praktiziert wurde.
Kommen wir zu den formalen Sachen. Du
willst Widerspruch gegen die Entscheidung des Kultusministerium
einlegen. Was sind deine Erwartungen?
Dieser Widerspruch, das
kann man eigentlich schon sagen, wird abgelehnt werden, weil
Kultusministerin Schavan, die das Berufsverbot ja ausgesprochen hat,
daüber entscheidet. Es ist nicht zu erwarten, dass sie sich
jetzt gegen ihre eigene Entscheidung wendet. Dann kommt erst der
Klageweg, das heißt, dann werde ich gegen die Entscheidung
klagen, und dann wird das Ganze von einem Gericht in der ersten
Instanz entschieden, und dann schauen wir weiter.
Es gab also
niemals ein gerichtliches Urteil, das irgendwie mit deinem Ausschluß
aus dem Schulsystem zu tun gehabt hätte? Es ist alles im
Kultusministerium entschieden worden ohne richterlichen Spruch und
sonstiger Entscheidungsinstanz?
Ja, das muss man auch ganz
klar sagen. Wenn man so hört, Berufsverbot, dann denkt man, da
muss ja irgendein Vergehen sein, oder da muss es ein Urteil geben. Es
geht nicht im Geringsten um irgendwelche Straftaten. Sowas ist mir
nie vorgeworfen worden. Das Oberschulamt oder das Kultusministerium
sind ja eigentlich nicht unbedingt Instanzen, von denen man erwarten
würde, dass sie zu beurteilen haben, was verfassungsgemäß
ist und was nicht. Dazu ist das Bundesverfassungsgericht da, das ja
noch nie auf die absurde Idee gekommen ist, die Antifaschistische
Initiative Heidelberg zu verbieten.
Das ist eine legale
Organisation.
Ja.
Wie schätzt du das Medienecho
ein, war es groß und klein, warst du erfreut oder nicht?
Am
Anfang war es sehr schwierig Medien überhaupt davon zu
überzeugen, dass das ein Berufs-verbotsverfahren ist, weil es
sowas schlichtweg seit zwanzig Jahren in Deutschland nicht mehr gab.
Da ist man erstmals auf viel ungläubiges Staunen gestoßen.
Mittlerweile ist es so, dass ich mich im Moment vor Presseanfragen
kaum retten kann. Was ich sehr erfreulich finde, ist, dass es bisher
es eigentlich noch keine einzige Zeitung oder Radio oder
Fernsehsender gegeben hat, der Verständnis für die
Entscheidung der Kultusministerin gezeigt hätte. Was noch
wichtiger ist, Frau Schavan wollte, dass das Wort Berufsverbot in dem
Zusammenhang überhaupt gar nicht erst fällt. Eigentlich
fast jede Zeitung hat schon in der Titelzeile Berufsverbot,
Radikalenerlass und so weiter geschrieben. Ich denke, die lassen sich
da auch nicht hinter das Licht führen. Das finde ich ist erst
mal so eine ganz positive Sache bei den Pressereaktionen.
Glaubst
du, dass du ein Einzelfall bleibst, oder dass es wirklich ein breites
Wiederaufleben der Berufsverbotspraxis gibt, vor allem, wenn man so
sieht wie die Presse anders mit dem Thema umgeht als in den 70er
Jahren?
Das ist eine politische Frage. Das hängt sehr
stark davon ab, wie die Reaktionen jetzt in der Öffentlichkeit
sind, ob es Widerstand gegen diese Entscheidung gibt, ob sich aber
zum Beispiel auch Lehrerinnen und Lehrer, Schüler, Schülerinnen,
Gewerkschaften, und so weiter positionieren und einsetzen. Falls die
Kultusministerin mit diesem Berufsverbot durchkommt, dann denke ich,
ist die Möglichkeit wieder offen, das auch gegen andere
einzusetzen. So schrecklich wichtig bin ich nicht, dass das extra auf
mich zugeschnitten laufen müsste. Ich denke, es ist nicht die
Vorstellung, dass ich jetzt so furchtbar gefährlich wäre in
Anführungszeichen, dass das jetzt extra wegen mir gemacht werden
müsste.
Was wirst du sonst noch so gefragt?
Das
sind normalerweise die Sachen, die gefragt werden. Viele fragen, wie
es mir so damit geht, oder gehen auf diese politischen Inhalte ein.
Was ich noch ganz interessant finde, ist die Rolle des
Geheimdienstes, weil der Skandal fängt eigentlich nicht erst
dort an, wo das Berufsverbot verhängt wurde, sondern ich bin 15
Jahre lang vom Geheimdienst überwacht und bespitzelt worden, für
eine vollkommen legale politische Tätigkeit, die sich in erster
Linie gegen Krieg und gegen Neo-Nazis richtet. Das finde ich
eigentlich schon viel erschreckender, als das Berufsverbot – und
wenn die Leute akzeptieren, dass das in diesem Staat die Normalität
ist, dann denke ich, stimmt tatsächlich etwas mit dieser
Demokratie nicht.