Junge Welt, 26.01.2007
Berufsverbote, Radikalenerlaß, Ministerpräsidentenbeschluß
– Begriffe, mit denen heute viele Jüngere nichts anfangen
können; Ältere hingegen wollen häufig nicht mehr
erinnert werden. Die politischen Verantwortlichen aus den siebziger
Jahre möchten die bis heute geltende Praxis vergessen machen:
die Berufsverbieter in den Ministerien, Gerichten und im
Verfassungsschutz, also die Täter, aber auch ein Teil
derjenigen, die sich damals gegen Berufsverbote wandten und sich mit
den betroffenen Linken in Solidaritätskomitees, Konferenzen
sowie Demonstrationen verbanden. Gerade diese ehemals im Kampf
verbündeten, die seit 1990 in Regierungsverantwortung und
-ämtern die politische Möglichkeit zur Aufhebung der
Verbote und Erlasse hatten, wollten und wollen an ihre damaligen
Einsichten nicht mehr erinnert werden. Ihre Untätigkeit und ihr
Schweigen läßt die Bundesrepublik Deutschland zu einem
Land werden, das hinter einer formaldemokratischen Fassade
Menschenrechtsverletzungen verbirgt. Gemeint sind Gerhard Schröder,
Joseph Fischer, Heidemarie Wiezcorek-Zeul, Olaf Scholz, Herta
Däubler-Gmelin, Jürgen Trittin, Siegmar Gabriel und
Klaus-Uwe Benneter. Sie alle waren im Komitee »Weg mit den
Berufsverboten«, hatten Pressekonferenzen gehalten oder waren
als Anwälte aktiv gegen die Berufsverbotepolitik
aufgetreten.
Heute legitimieren sie ihr Nichtstun damit, daß
es sich »um Einzelfälle« handele und daß vom
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anerkannt sei,
daß »Deutschland auf Grund seiner historischen
Erfahrungen das Recht (hat – H. B.), von seinen Beamten die Treue
zu den den Staat begründenden Verfassungsgrundsätzen zu
verlangen«. So weisen sie »das politische Schlag- und
Reizwort vom Berufsverbot für Radikale« im Schreiben des
Bundesministeriums des Inneren im Auftrage des Bundeskanzlers
Schröder vom 24. März 1999 zurück. Vergessen wird, daß
die SPD-Fraktion am 21. November 1990 beschlossen hatte, »nach
Beendigung des Ost-West-Konflikts noch offene Fragen des Kalten
Krieges zu beseitigen und die mit diesem verbundenen Straf- und
Disziplinarverfahren zu einem befriedigenden Abschluß zu
bringen«.
Im Zentrum dieser offenen Fragen stehen drei Gruppen von
Betroffenen: Die unzähligen mit der Berufsverbotswelle nach dem
sogenannten Adenauer-Erlaß vom 19. September 1950 aus dem
öffentlichen Dienst Entlassenen bilden die erste Gruppe. Sie
gehörten einer der dreizehn namentlich aufgeführten
Organisationen an, wie etwa der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes, dem Kulturbund, der Kommunistische Partei Deutschlands
und der Freie Deutsche Jugend. In dieser frühen Phase der
Geschichte der Bundesrepublik gab es darüber hinaus rund 10000
Strafprozesse gegen Gegner der Wiederbewaffnung, gegen Demonstranten
für die Wiedervereinigung, gegen den Korea-Krieg (allein in
Niedersachsen vom 1. Oktober 1951 bis zum KPD-Verbot am 17. August
1956 2333 Strafprozesse mit 1858 Monaten Gefängnis und 14593,40
DM Geldstrafen).
Die zweite Gruppe umfaßt die etwa
200000 durch Ermittlungs- und Strafverfahren verfolgten Kommunisten
nach dem KPD-Verbot, die zumeist wegen Fortführung dieser Partei
verurteilt wurden. Zu ihnen gehören auch Linke, Gewerkschafter
und Jugendliche, die bestraft wurden, weil sie Kontakt zu Kommunisten
hatten und deshalb gegen den Kontaktschuldparagraphen verstoßen
hatten. In diese Gruppe gehören auch die vielen, die gegen
Nazirichter demonstriert hatten oder die aus Betrieben oder
Verwaltungen entlassen wurden, weil sie in die DDR gefahren waren
oder Kinderferiengruppen in die DDR begleitet hatten.
Die
dritte große Gruppe umfaßt die vom Berufsverbot
Betroffenen, die seit 1971 aus allen Zweigen des öffentlichen
Dienstes entlassen, gar nicht erst eingestellt oder disziplinarisch
belangt, die nicht befördert, verbeamtet oder nicht berufen
worden sind (rund 11000 namentlich direkt Betroffene, 136 Entlassene,
1250 abgelehnte Einstellungen). Am 3. November 1971 verfügte als
erster der Hamburger SPD-Senat gegen ein junges DKP- und
SDAJ-Mitglied, daß sie nicht in den Schuldienst dürfe,
weil sie »nicht die Gewähr bietet, jederzeit für die
freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) einzutreten«.
Der breite öffentliche, bis in das Ausland reichende Protest
gegen dieses Verfahren verstärkte sich noch, als kurz darauf
Ilse Jacob, die Tochter des von den Nazis hingerichteten bekannten
kommunistischen Widerstandskämpfers Franz Jacob, ebenfalls
Berufsverbot erhielt. Alle damaligen Ministerpräsidenten
zusammen faßten mit dem damaligen Bundeskanzler Willy Brandt am
28.Januar 1972 den Beschluß, die bestehenden Beamtengesetze so
zu interpretieren, daß Kommunisten nicht die jederzeitige
Gewähr böten, für die FDGO einzutreten. Alle Bewerber
für den öffentlichen Dienst, alle zur Verbeamtung,
Beförderung oder Berufung Anstehenden sollten durch Anfrage beim
Verfassungsschutz geprüft werden, ob gegen sie dort etwas
vorliege. Diese Praxis erhielt die offizielle Bezeichnung
»Regelüberprüfung«. Der sogenannte
»Extremistenerlaß« war geboren – und löste
einen bis heute fortwährenden Skandal aus.
Betroffen war
der gesamte öffentliche Dienst in der BRD, in Bund, Ländern
und Gemeinden, bei Bahn, Post, Bundesbank und im Arbeitsamt. Nur im
Saarland gab es keine Berufsverbote. Zwar wurde die Regelanfrage mit
Ausnahme des Freistaates Bayern inzwischen überall aufgrund der
Proteste abgeschafft, man ersetzte sie aber durch eine Bedarfsanfrage
beim Verfassungsschutz. Erfragt wurde mit dem sogenannten PZD-Beleg,
was über den jeweiligen Angehörigen des öffentlichen
Dienstes bei den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der
Länder in dem 1990 18 Millionen Bürger erfassenden
Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) gespeichert ist.
Das auf dieser Grundlage erstellte Dossier listete erspitzelte
Berichte, sogenannte »vorhaltbare, aber nicht
gerichtsverwertbare Tatsachen«, »verwertbare Tatsachen«
und Banalitäten auf. Da sind Angaben zu lesen wie »Sein
Auto parkte oft in der Nähe des DKP-Versammlungslokals«
oder »Sie besuchte schon als Schülerin einen Film von
Eisenstein«, »Sie ist als SPD-Mitglied gemeinsam im
Vorstand mit DKP-Mitgliedern«, »Zu ihrer Hochzeit
erschien eine Anzeige in der UZ – Zeitung der DKP«, »Er
verteilte regelmäßig die Zeitung Arbeiterkampf des
Kommunistischen Bundes«, »Er hat sich gegen die
Atomrüstung der NATO ausgesprochen und nicht genug von
Kommunisten distanziert«. Aber auch: »Anmelder eines
Infostandes von terre des hommes« oder »der
Chile-Solidarität«, Kandidatur bei öffentlichen
Wahlen für DKP, Kommunistischen Bund Westdeutschlands,
Volksfront, Sozialistischer Hochschulbund (SHB, der damals häufig
gemeinsam mit dem Marxistischen Studentenbund Spartakus Asten
bildete). Die Mitarbeit in der Schülerzeitung Roter Turm
entpuppte sich als Zeichen von Übereifer der Spitzel, denn die
Schülerzeitung trug »rot« im Namen, weil die
Stadtmauer mit einem rotem Sandsteinturm an das altehrwürdige
Gymnasium grenzt und hatte mit einer politischen Überzeugung gar
nichts zu tun.
Die Anhörungen der in die Mühlen der
Verfolgung geratenen dauerten Stunden und wurden mehrfach wiederholt
– bis zur Gesamtdauer von 28 Stunden in einem Fall. Die
anschließenden Gerichtsverfahren gingen stets durch mehrere
Instanzen bis zum Bundesverwaltungs- oder Verfassungsgericht, in
dreizehn Fällen bis vor den Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte (wo einige Verfahren erst vor vier Jahren entschieden
wurden). Die Verfahrensakten füllen ganze Regale, weitere Regale
mit den zahlreichen Buchveröffentlichungen in verschiedenen
Sprachen.
Von Anfang an bildeten sich überparteiliche
Solidaritätskomitees mit Wissenschaftlern, Pastoren, Juristen,
mit Vertretern von Gewerkschaften, Jugend- und
Studentenorganisationen, des Bundes demokratischer
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi) und der Vereinigung
demokratischer Juristinnen und Juristen (VdJ). Zeitweise gab es bis
zu 255 Komitees in der BRD – und ähnlich zusammengesetzte in
USA, Kanada, Island, Norwegen, Finnland, Schweden, Dänemark,
England, Wales, Belgien, Holland, Luxemburg, Italien, Frankreich, wo
es sogar hundert regionale Komitees gab. Einzelne Aktivisten gab es
auch in Japan und Australien, die gegen den damaligen
Bundespräsidenten Walter Scheel bei einem dortigen Staatsbesuch
auftraten. Auf Kongressen der konservativen Jugend wie der
Sozialistischen Jugendinternationale, der Sozialistischen
Internationale, bei Fachkongressen der Mathematiker und der
Anästesisten, auch auf dem Deutschen Soziologen- und dem
Historikertag und fast allen Gewerkschaftskongressen der damaligen
Jahre waren die Berufsverbote Thema.
Auch die UNO-Kommission
für Menschenrechte, die KSZE-Konferenzen in Belgrad, Wien,
Madrid und Moskau wurden von Betroffenen besucht, die von vielen
offiziellen Vertretern empfangen wurden. All diese Aktivitäten
wurden von den Berufsverbotekomitees organisiert und von einem
Arbeitsausschuß der Initiative »Weg mit den
Berufsverboten« koordiniert. Gerhard Schröder vertrat
zeitweilig als Anwalt seine vom Berufsverbot erfaßte
niedersächsische Kollegin Dorothea Vogt, die 1995 vor dem
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil
erstritt, wonach ihr Berufsverbot in der BRD gegen Artikel 10 und 11
der Europäischen Menschenrechtskonvention verstieß. Auf
jährlich großen internationalen Berufsverbotekonferenzen
sprachen holländische und finnische Sozialdemokraten und
britische Labour-Abgeordnete oder ehemalige dänische Minister.
Zur materiellen Unterstützung der Betroffenen wurde der
Heinrich-Heine-Fonds gegründet – die Leute spendeten
massenhaft. So brauchte kein Betroffener um seine materielle Existenz
zu bangen, während er sich um die Öffentlichkeitsarbeit in
seinem Fall kümmerte, galt es doch, den Kampf über lange
Zeit – in einem Fall dauerte das Verfahren 22 Jahre, bevor es mit
der Einstellung des Lehrers endete – zu führen.
Viermal
mahnte die Internationale Arbeitsorganisation (ILO/IAO) in Genf die
Änderung der Praxis in der BRD an: In einem aufwendigen
Verfahren und nach Entsendung einer internationalen
Untersuchungskommission, die in der BRD zehn Tage lang Ministerien,
Gewerkschaften und Betroffene interviewte, stellte sie fest, daß
die Berufsverbote gegen zahlreiche internationale ILO-Konventionen
verstoßen. Für die Bundesregierung war es ungewohnt, wegen
Verletzung der Menschenrechte auf der Anklagebank zu sitzen. Auch der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach im Fall
Dorothea Vogt eine Verurteilung gegen die Bundesregierung aus. Und
die UNO-Menschenrechtskommission fragte dauernd nach. Trotzdem wurden
immer neue Berufsverbote verhängt, die nicht nur DKP-Mitglieder,
sondern Mitglieder aller kommunistischer Formationen, zahlreiche
Friedensaktivisten, linke SPDler und FDPler, Gewerkschafter, linke
Christen trafen.
3,5 Millionen Bewerber oder Angehörige
des öffentlichen Dienstes wurden zwischen 1972 und 1992
durchleuchtet, 35000 Dossiers wurden bekannt und führten zu den
offiziellen Berufsverboteverfahren. 2200 Disziplinarverfahren und
1250 endgültige Ablehnungen von Bewerbern für den
Staatsdienst und die bereits genannten 136 Entlassungen sind zu
verzeichnen.
Die Verfolgung der Linken in Deutschland steht in einer für
das Land typischen Tradition, die antidemokratische und
antikommunistische Staatsdoktrin administrativ und lückenlos
durchzusetzen. Stationen sind die Karlsbader Beschlüsse von 1819
(Demagogen-Verfolgungen), die Demokratenverfolgungen nach der
Revolution von 1848/49 (Kölner Kommunisten-Prozesse als
Höhepunkt im Jahr 1852), das Sozialistengesetz vom 19. Oktober
1872, die preußischen Erlasse von 1930, das Gesetz zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933, der
sogenannte Adenauer-Erlaß vom 19. September 1950.
Die
SPD-FDP-Bundesregierung der siebziger Jahre stand vor dem Dilemma,
außenpolitisch im Rahmen der globalen Entspannung und dem etwas
nachlassenden Antikommunismus als Frontstaat eine »neue
Ostpolitik« und damit eine Öffnung zu sozialistischen
Staaten in die Wege zu leiten, andererseits aber innenpolitisch in
gewohnter antikommunistischer Manier Kommunisten als politische Kraft
nicht akzeptieren zu wollen. Zudem drängten CSU und CDU mit
Franz Josef Strauß und Rainer Barzel auf dem 9. CDU-Parteitag
im Oktober 1971 auf ein Verbot der DKP. Die SPD belebte den ihr
ureigenem sozialdemokratischem Antikommunismus. Erinnert sei an die
Unvereinbarkeitsbeschlüsse von SPD und Gewerkschaften vom
November 1970, wonach Kommunisten und diejenigen, die mit ihnen
zusammenarbeiten, auszuschließen sind (Kai Uwe Benneter z.B.
flog deshalb zeitweilig aus der SPD, und der bekannte Marburger
Soziologieprofessor Wolfgang Abendroth wurde ausgeschlossen). Vor
diesem Hintergrund und den historischer Erfahrungen deutscher
Monarchien und Regierungen im Umgang mit Linken bildete der
Ministerpräsidentenbeschluß vom 28. Januar 1972, der die
Berufsverbote einführte, einen gehbaren Kompromiß. Man
mußte die DKP nicht verbieten und konnte auf diese Weise
Problemen mit den sozialistischen Ländern ausweichen. Durch die
Gesinnungsbeforschung von einzelnen Staatsbürgern konnte man
aber kommunistisches Handeln unterbinden. Die SPD erfand die
Berufsverbote als Stopsignal für alle Radikalreformer und den
»nachlassenden emotionalen Antikommunismus« (aus einer
Erklärung der Bundesvereinigung der deutschen
Arbeitsgeberverbände vom 7. April 1971). Zudem begrenzten
Berufsverbote das Konzept »Mehr Demokratie wagen«.
Als die von Berufsverboten Betroffenen detaillierte
Dokumentationen von Anhörungsprotokollen veröffentlichten,
bekam jeder Bundesbürger die Gelegenheit nachzuvollziehen, daß
es bei den Berufsverboten um Gesinnungsverfolgung, nicht um Ahndung
illegaler Taten ging. Keinem einzigen Lehrer wurde Indoktrination
seiner Schüler nachgewiesen, alle Betroffenen waren im Gegenteil
hochqualifiziert. Da überparteiliche Komitees gegen
Berufsverbote in der Öffentlichkeit auftraten, fiel es vielen
Bürgern leichter, Solidarität auch mit jenen zu entwickeln,
die politisch andere, ja entgegengesetzte Auffassungen vertraten.
So
kam es, daß von allen Berufsverbotefällen vier Fünftel
letztendlich positiv für die Betroffenen ausgingen, wenn auch
erst nach Jahren und nach zahlreichen Gerichtsverfahren und
öffentlichem Druck. Die Verfahren sind zwar eingestellt worden,
aber eine politische und materielle volle Rehabilitierung hat es nur
in einem einzigen Fall, nämlich bei Dorothea Vogt gegeben. Und
eine Beseitigung der erspitzelten Verfassungsschutzdossiers hat es
nur in einem hessischen Fall gegeben. Alle anderen Fälle sind
politisch und juristisch nicht aufgearbeitet sowie materiell nicht
wieder gutgemacht worden. Eine erste Übersicht der Initiative
»Weg mit den Berufsverboten« weist aus, daß das
Berufsverbot den einzelnen zwischen 11000 und 770000 DM »kostete«,
wenn man neben Gerichtskosten entgangene Gehälter und
Altersversorgung zusammenzählt.
Als befriedigenden
Abschluß der Berufsverbotepraxis kann man es nicht bezeichnen,
wenn Willy Brandt 1974 reumütig erklärte, sich »geirrt«
zu haben, und Peter Glotz 1978 den »Radikalenerlaß als
unseren größten Fehler« bezeichnete. Es blieb
nämlich unkorrigiert oder aktenmäßig nicht gelöscht,
daß die Verfahren und Anhörungen dem »Sich-Versichern
der Gesinnung« dienten. Auch die von der SPD-Fraktion am 21.
November 1990 beschlossene Absicht, »nach Beendigung des
Ost-West-Konflikts noch offene Fragen des Kalten Krieges zu
beseitigen und die mit diesem verbundenen Straf- und
Disziplinarverfahren zu einem befriedigendem Abschluß zu
bringen«, hatte keinerlei Wirkungen. Das Kriterium für
eine Disziplinarmaßnahme bleibt bis heute »nicht mehr das
legale Verhalten im Rahmen der Gesetze, sondern das richtige oder
falsche Verhalten im Rahmen gesetzlich zugelassener Freiheit«,
so Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde. Heute ist
genau dies die Grundlage für Rasterfahndungen nach islamischen
»Schläfern« unter den Studierenden oder die
Grundlage für das Agieren im Falle des »Taliban von
Bremen«. Auch nach 1989 wurde es massenhaft zur Grundlage für
die Überprüfungen der Eliten der ehemaligen DDR.
Selbst
heute wird ohne Skrupel nach demselben Muster verfahren. So im Sommer
2003 im Fall des Heidelberger Realschullehrers Michael Csaszkóczy.
Sein Engagement in der »Antifaschistischen Initiative
Heidelberg« gegen Rechtsradikalismus und Mietwucher mißfällt.
Darum wurde er erst in Baden-Württemberg und dann auch in Hessen
nicht in den Schuldienst eingestellt. »Wer Mitglied in einer
extremistischen Gruppierung ist, sich darin aktiv gegen die
freiheitlich-demokratische Grundordnung stellt und Militanz als
angemessenes Mittel der Auseinandersetzung ansieht, kann nicht als
Lehrer in öffentlichen Schulen wirken«, so die damalige
Kultusministerin Annette Schavan in Baden-Württemberg, die gegen
Csaszkóczys Einstellung auch in Hessen intervenierte. Daß
im März 2006 das Verwaltungsgericht in Karlsruhe eine solche
Behördenentscheidung bestätigt, zeigt, wie wichtig die
Forderung nach ersatzloser Abschaffung der Berufsverbotepraxis auch
heute noch ist. Hinzu kommt die Forderung nach Rehabilitierung.
Ähnliche Praktiken im Kalten Krieg gab es auch anderswo. Doch in Italien, Österreich und sogar in den USA sind diese Praktiken beendet, die Geheimdienstakten aufgearbeitet, haben die Betroffenen ihre Akten einsehen können, ist es zu Wiedergutmachungen gekommen. So sind in Schweden die 22000 sozialdemokratischen Funktionäre bekannt, die Kommunisten bespitzelt hatten. Seit 1969 ist es gesetzlich verboten, politische Ansichten zu erfassen und zu speichern. Nach dem Muster Norwegens wurde auch in Schweden eine »Wahrheitskommission« eingerichtet, die alle Fälle aufarbeitet. In Norwegen hat 1996, als die dortigen Bespitzelungen aufflogen, die sogenannte Lund-Kommission alle Fälle der 49000 betroffenen Bürger öffentlich aufgearbeitet. In der Schweiz gab es 1998 sogar eine Volksabstimmung zur »Abschaffung der politischen Polizei«. 300000 Betroffene nahmen Einsicht in ihre illegal angelegten Akten. In der BRD aber hat die Arbeit der Gauck- oder Birthler-Behörde zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte zur Verfestigung des Antikommunismus als Staatsdoktrin geführt, nicht zu deren Abbau. Das wäre nur geschehen, wenn zeitgleich die Akten des Verfassungsschutzes offengelegt worden wären, und die Bürger aus den alten Bundesländern dasselbe Einsichtsrecht in ihre Akten hätte, wie die Bürger aus den neuen Bundesländern in ihre Stasiakten. Im Gegenteil: Gerade erst hat der Verfassungsschutz weitere Kompetenzen erhalten. So geht die Gefährdung der Freiheit und der Bürgerrechte weiterhin vom Staat aus. Es ist also an der Zeit, jetzt nach 35 Jahren die Berufsverbotepolitik endlich zu beenden und die Rehabilitierung aller Opfer des Kalten Krieges zu vollziehen. Vielleicht könnte eine deutsche »Wahrheitskommission« nach skandinavischem Muster, die sich aller Betroffenen annimmt, dies leisten.
Horst Bethge ist Sprecher der Initiative »Weg mit den Berufsverboten« und Landessprecher der Linkspartei.PDS in Hamburg