Jungle World 17.07.2008
„Das Berufsverbot war ein Fulltime-Job“
Interview mit Michael Csaszkóczy
Gegen Michael Csaszkóczy wurde 2004 vom
Oberschulamt Karlsruhe und 2005 vom hessischen Schulamt Bergstraße ein
faktisches Berufverbot verhängt, mit der Begründung, dass er Mitglied der
Heidelberger Antifa ist und Zweifel an seiner Verfassungstreue bestünden. Im
August 2006 ließ jedoch der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof die
Berufung Csaszkóczys zu, und auch das Darmstädter Verwaltungsgericht hob den
Ablehnungsbescheid des Schulamtes auf. Daraufhin wurde Csaszkóczy zu Beginn des
nun zu Ende gehenden Schuljahrs 2007/08 eine Stelle an der Realschule in
Eberbach angeboten, wo er seitdem unterrichtet.
Interview: Benjamin Kumpf
Mit dem Beginn der
Ferien geht auch Ihr erstes Schuljahr als Lehrer nach der Aufhebung des
faktischen Berufsverbots zu Ende. Wie lief das Jahr für Sie an der neuen
Schule?
Es war vor allem
anstrengend. Ich habe seit fast fünf Jahren nicht mehr in diesem Beruf
gearbeitet und kannte weder die aktuellen Lehrpläne noch die Schulbücher,
geschweige denn die Schule selbst. Von einem Tag auf den anderen kam die
Aufforderung, dass ich am nächsten Morgen in der Schule in Eberbach sein soll.
Es gab einen riesigen Presserummel in der Kleinstadt im Odenwald. Meine
einzige Chance, dort akzeptiert zu werden, bestand darin, durch guten
Unterricht zu überzeugen. Das hat mir selbstverständlich einen immensen Druck
verschafft. Aber ich bin froh, endlich wieder meinen Beruf ausüben zu können,
und es gibt sogar schöne Momente im Schulalltag.
Was haben Sie während
der Verfahrensdauer gemacht, und wie haben Sie Ihren Lebensunterhalt
bestritten?
Den größten Teil der
Zeit habe ich Hartz IV bekommen. Zur Finanzierung der Kampagne gegen das
Berufsverbot hat anfangs vor allem die Rote Hilfe beigetragen, die Anwalts- und
Gerichtskosten hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
übernommen. Gegen Ende meines Berufsverbots habe ich dann ein Promotionsstipendium
von der Hans-Böckler-Stiftung erhalten. Aber das Berufsverbot war
ironischerweise fast ein Fulltime-Job: Pressearbeit, Veranstaltungen, Bündnisarbeit
mit Gewerkschaften und politischen Gruppen, die juristische Auseinandersetzung,
das alles hat die ganzen Jahre über unglaublich viel Zeit und Nerven gekostet.
Wie ist die Stimmung
im Kollegium? Kennen die Schüler Ihre Vorgeschichte?
Die Schülerinnen und
Schüler wussten zumindest in groben Zügen von Anfang an Bescheid. Die
Geschichte war ja durch die gesamte Presse gegangen, vom Fernsehen bis zum
Boulevard. Das Kollegium hat sich mir gegenüber sehr solidarisch verhalten,
nicht im politischen Sinne, sondern auf einer menschlichen und kollegialen
Ebene. Selbst wenn es vereinzelte Vorbehalte gegeben haben sollte, sind sie
mittlerweile definitiv verschwunden.
Wie erklären Sie den
Schülern das Berufsverbotsverfahren gegen Sie?
Ich habe ihnen gesagt,
dass die Regierung mich wegen meiner Mitgliedschaft in der Antifa zum
Verfassungsfeind erklärt hat und dass diese Entscheidung letztinstanzlich für
Unrecht erklärt wurde. Aber wenn es um eine ausführlichere Bewertung der ganzen
Angelegenheit geht, betone ich den Schülern gegenüber, dass ich in dieser Sache
parteiisch bin und sie sich ruhig an anderer Stelle über meine Geschichte
informieren sollen.
Hat sich das Land
Baden-Württemberg bei Ihnen entschuldigt oder eine Entschädigung angeboten?
Vom Kultusministerium
habe ich bis heute weder ein Wort des Bedauerns vernommen noch eine
Entschädigung erhalten. Was Letzteres angeht, steht mein Anwalt aber noch in
Verhandlung mit dem Regierungspräsidium.
Hat die Aufhebung des
Urteils gegen Sie die versuchte Wiederbelebung der Berufsverbote in den
konservativ regierten Bundesländern gestoppt?
Baden-Württemberg und
Hessen haben durch das Gerichtsurteil einen gehörigen Dämpfer bekommen. Durch
die deutlichen Formulierungen in der Urteilsbegründung wird sich jede
Institution, die versucht, ein Berufsverbot zu verhängen, gründlicher überlegen
müssen, was sie da tut. Allerdings existieren die gesetzlichen Grundlagen für
solche Berufsverbote immer noch, und mit den neuen Sicherheitsgesetzen kamen
weitere hinzu. Die Geschichte der Berufsverbote ist staatlicherseits nicht
aufgearbeitet, und die Betroffenen aus den siebziger und achtziger Jahren sind
noch immer nicht rehabilitiert, geschweige denn entschädigt worden. In mehreren
Bundesländern existieren auch heute noch groteske und rechtlich in keiner Weise
haltbare Fragebögen, in denen Bewerber für den öffentlichen Dienst zu ihrer
ehemaligen oder gegenwärtigen Mitgliedschaft in angeblich linksextremistischen
Organisationen befragt werden. Das Bittere ist, dass diese kafkaesken Rituale
von den Betroffenen aus lauter Angst und vorauseilendem Gehorsam akzeptiert und
ausgefüllt werden. Juristisch sind diese Dinger das Papier nicht wert, auf dem
sie gedruckt sind, und politisch sind sie ein Skandal. Es gibt also noch viel
zu tun.
Möchten Sie verbeamtet
werden?
Ich bin bereits seit
Ende letzten Jahres Beamter, nicht weil ich das unbedingt angestrebt hätte,
sondern weil das der übliche Weg ist, auf dem Lehrer angestellt werden.
Während des
Schuljahres kam es zu Problemen mit Neonazis, von denen Sie als gefährlicher
»Autonomen-Lehrer« diffamiert wurden. Was ist vorgefallen?
Eine Gruppe von
Nazikadern aus Hessen und Rheinland-Pfalz tauchte vor der Schule auf, hat
Broschüren und die »Schulhof-CD« der NPD verteilt und gegen meine Einstellung
protestiert. Außerdem wurde ein Video, in dem ein Bild von mir und Aufnahmen
von der Schule, an der ich unterrichte, über Youtube ins Netz gestellt. Im
Kultusministerium, das den Nazis die Steilvorlage für diese Diffamierungen
geliefert hatte, gab es keinerlei Reaktion, nur eisiges Schweigen. Ich habe
aber sehr viel Rückhalt aus dem Kollegium und, was mich besonders gefreut hat,
von der Schülermitverantwortung bekommen.
Innerhalb der
Solidaritätskampagne für Sie reichten die Forderungen von der Einhaltung bürgerrechtlicher
Mindeststandards bis zu antikapitalistischer Staatskritik. Wie empfanden Sie
diese Mischung?
Fundamentalkritik am
Kapitalismus, die auf die Forderung nach Einhaltung bürgerrechtlicher
Mindeststandards verzichtet, wäre meiner Einschätzung nach gefährliche
Traumtänzerei und würde in erster Linie einer fragwürdigen Identitätspolitik
dienen. Ich kann in diesem Spannungsfeld gut leben, es bestimmt ja auch sonst
meinen politischen Alltag.
Wie vereinbaren Sie
die Mitgliedschaft in einer linksradikalen Antifa-Gruppe mit Ihrer Rolle als
öffentliche Person? Wird das, was Sie sagen, als Position der
Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) betrachtet?
Die Gefahr besteht
natürlich, aber wir versuchen, sie, so gut es geht, abzuwehren. Die Rückkehr zu
pseudoklandestiner Antifa-Politik, die sich politische Aktivitäten nur mit
Sonnenbrille und Kapuzenpulli vorstellen kann, ist für uns jedenfalls keine
Alternative. Obwohl beides zu gewissen Zeiten sicherlich sehr nützliche
Kleidungsstücke sein können. Im Übrigen spreche ich zuweilen im Namen der Roten
Hilfe, und bislang ist noch niemand auf die Idee gekommen, diese beiden
Organisationen zu verwechseln.
Ist die AIHD dadurch
eingeschränkt, dass ein Mitglied der Gruppe stets auf die Konformität seiner
Äußerungen achten muss?
Ich muss nicht auf die
Konformität meiner Äußerungen achten und habe das auch nicht vor, sonst hätte
ich dieses Berufsverbotsverfahren gar nicht auf mich nehmen müssen. Aber wir
brauchen uns auch nicht in die Tasche zu lügen und uns vormachen, dass wir
ständig konspirativ im Untergrund sitzen und Umsturzpläne schmieden würden.
Aus ihrer Ablehnung des Kapitalismus und der Befürwortung
außerparlamentarischer Aktionen hat die AIHD nie einen Hehl gemacht und wird es
auch weiterhin nicht tun. Ich will nicht bestreiten, dass die Situation es
erfordert, sich sprachlich differenziert zu äußern und plumpen
Verbalradikalismus zu vermeiden. Das muss aber kein Nachteil sein.
Ein Grund für die
Beobachtung durch den Verfassungsschutz und das Berufsverbotsverfahren war auch
Ihr Engagement für das Autonome Zentrum in Heidelberg. Gibt es seit der Räumung
des Zentrums vor neun Jahren eine Perspektive für ein neues Zentrum in der
Stadt?
Auf der Ebene des
Gemeinderats sieht es eher düster aus. Aber dass die Bewegung für ein neues
autonomes Zentrum weiter aktiv ist und sogar wieder verstärkt Zulauf von
jüngeren Leuten hat, finde ich immerhin ermutigend. Politische Verhältnisse
sind trotz allem oft erstaunlich wandelbar. Mitten im deutschnationalen
Wiedervereinigungstaumel 1990 hätte sich ein außen stehender Beobachter kaum
ernsthaft vorstellen können, dass die Bewegung für ein solches Zentrum Erfolg
haben könnte. Ein Jahr später war es dann aber so weit.