Linkem Lehrer droht Berufsverbot
Baden-Württemberg prüft, ob das Land den Radikalenerlass anwendet / Nach
Jahrzehnten erster Fall
In Heidelberg soll einem Lehrer auf der Grundlage des Radikalenerlasses
der Eintritt in den Schuldienst verwehrt werden. Die Grünen im
baden-württem- bergischen Landtag fragen im Fall Csaszkoczy nach
"Verhältnismäßigkeit".
VON GABRIELE RENZ
Heidelberg - 13. Mai - Michael Csaszkoczy studierte Deutsch, Geschichte
und Kunst in Heidelberg. Im Sommer 2003 legte er sein zweites
Staatsexamen mit der Note 1,8 ab. Der 33-Jährige stünde nach eigenen
Angaben bereits seit 1. Februar vor einer Klasse, wenn das
baden-württembergische Kultusministerium unter deren Chefin Annette
Schavan (CDU) nicht prüfen würde, ob in seinem Fall der
Radikalenerlass aus den 70er Jahren angewendet werden muss.
Viel Hoffnung, als Realschullehrer in den Staatsdienst zu kommen, hegt
Csaszkoczy nicht. Das Oberschulamt Karlsruhe hatte, als seine Bewerbung
auf dem Tisch lag, zu einem "vertieften Einstellungsgespräch" gebeten.
Nicht aus eigenem Antrieb. Kultus- sowie Innenministerium meldeten von
sich aus Zweifel an Csaszkoczys Verfassungstreue und dessen Bekenntnis
zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung an. Als Student führte er
Jugendliche durch das Heidelberg der Nationalsozialisten, machte sich
für den Erhalt des Autonomen Zentrums stark und schrieb Artikel -
bisweilen mit deutlicher Kapitalismuskritik, die der Verfassungsschutz
als "Forderung nach Beseitigung unserer Gesellschaftsordnung" auslegt.
Zehn Jahre lang, bis 2002, wurde er vom Staatsschutz beobachtet. "Ich
habe kein Problem mit dem Staat", sagt er.
Das Wahlbündnis "Bunte Liste" lobt, der Lehrer verbinde "Sanftmut des
Umgangs mit Entschiedenheit des Engagements". Ob Demonstrationen für
bedrohte Flüchtlinge oder "gegen Mietwucher und Wohnraumzerstörung":
Alles, was ihm vorgehalten werde, seien "Aktivitäten, die eine lebendige
Demokratie geradezu einfordern muss". Der Kreisverband der GEW
solidarisierte sich mit Csaszkoczy.
"Bei einem so schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte muss die
Landesregierung nachweisen, dass Verhältnismäßigkeit gewahrt ist",
schrieb die Grünen-Abgeordnete im Landtag, Theresia Bauer, Schavan.
Die Polizei hatte Csaszkoczy oft als Gegendemonstrant von
Nazi-Aufmärschen verhaftet. Die Ermittlungsverfahren gegen ihn wurden
aber eingestellt. Vorbestraft ist er nicht. "Sind Sie Mitglied der
Antifaschistischen Initiative?", wurde Csaszkoczy im "vertieften
Gespräch" gefragt. Sein "Ja" habe dem Gremium gereicht, erinnert er
sich. Im Antifa-Grundsatzpapier findet sich der Satz "Militanz ist ein
legitimes Mittel im Kampf um Befreiung". Csaszkoczy durfte schriftlich
präzisieren: "Militanz bezeichnet eine widerständische Haltung, die
nicht vor Konfrontation zurückschreckt".
Die Amtsvertreter hätten deutlich Zweifel geäußert, dass die Bedenken
ausgeräumt seien, meint Csaszkoczy. Sein Anwalt Michael Heiming
vermutet, die Befragung sei "einfach abgehakt" worden, um das Verfahren
formal nicht als fehlerhaft angreifbar zu machen. Das Oberschulamt
verweist schweigend auf das "Personalgeheimnis". Dieser Tage wird dem
Kultusministerium die "Aufbereitung" des Gesprächs übermittelt. Schavan
muss entscheiden.
Radikalenerlass
Die Regierung Brandt installierte 1972 den "Erlass zur
Beschäftigung von Radikalen im öffentlichen Dienst". Er zielte
vor allem auf Lehrer und Postbeamte mit DKP-Mitgliedschaft.
Drei Millionen Menschen wurden überprüft, rund 10 000 erhielten
Berufsverbot.
Seit 1979 wurde der "Radikalen- erlass" nicht mehr angewandt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wertete das
Berufsverbot 1995 als menschenrechtswidrig - auch wegen der
Verletzung der Grundrechte auf Meinungs- freiheit. Wenige
Länder wie Niedersachsen hoben den Erlass auf.
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Copyright Frankfurter Rundschau online 2004
Dokument erstellt am 13.05.2004 um 18:09:50 Uhr
Erscheinungsdatum 14.05.2004