Die Anti-Antifa des Kultusministeriums
Wer glaubte, Berufsverbote seien ein vergessenes Relikt aus Zeiten des Kalten Krieges, wird gegenwärtig eines Besseren belehrt: Im Dezember 2003 erhielt der auf Übernahme in den Schuldienst wartende Heidelberger Realschullehrer Michael Csaszkóczy die Aufforderung zu einem „vertieften Einstellungsgespräch“ beim Oberschulamt. Von Michael Dandl Der Grund für das Berufsverbot seien Erkenntnisse des Verfassungsschutzes (VS), die Zweifel an der Verfassungstreue von Michael Csaszkóczy aufkommen ließen. So werde der seit vielen Jahren gegen Nazis aktive Lehramtsanwärter des Engagements in Gruppen verdächtigt, „die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen“. Dem Verhörtermin im April 2004 folgte im August die Ablehnung des Bewerbers, dessen Einstellung laut Oberschulamt zum Februar 2004 vorgesehen gewesen war. Der Widerspruch des Pädagogen gegen das Berufsverbot wurde im November abgelehnt, woraufhin er nun Klage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben hat, die allerdings frühestens Ende 2005 zur Verhandlung kommt. Doch das Kalkül des Kultusministeriums, unbemerkt den 1972 beschlossenen „Radikalenerlass“ wieder zu beleben, geht nicht auf: Der Betroffene wird in seinem Kampf gegen diese Repressionsmaßnahme von einem breiten Bündnis von Gewerkschaften, BürgerInnenrechtsorganisationen und linksradikalen Gruppen unterstützt, die ihre Forderung nach sofortiger Abschaffung des Berufsverbots bei einer Demonstration im Oktober 2004 auch auf die Straße trugen. Die Informationsarbeit und das öffentliche Interesse an diesem Präzedenzfall bringen das Ministerium zwar in die Defensive, haben aber noch nicht ausgereicht, es zum Einlenken zu bewegen. Im Zentrum des Berufsverbotsverfahrens steht letzten Endes die Mitgliedschaft Michael Csaszkóczys in der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD). Diese 1999 gegründete, legal operierende Gruppierung besitzt kein amtlich registriertes Vereinsstatut und führt auch keine Mitgliederlisten. Ihrem eigenen Selbstverständnis zufolge tritt sie als nicht parteiförmig organisierter Teil der linksradikalen Szene für eine auf Solidarität und Gleichberechtigung basierende Gesellschaft und für die Bekämpfung der nach rassistischen, biologistischen, kulturalistischen Einteilungen strukturierten Herrschaft des Menschen über den Menschen ein. Und weil sie als politische Gruppe ihre eigenen Interessen nicht an Institutionen delegieren will und davon überzeugt ist, dass sich auf parlamentarischem Wege an den bestehenden Unterdrückungsverhältnissen nichts Grundlegendes ändern lässt, ist sie unabhängig und basisdemokratisch in der außerparlamentarischen Opposition aktiv. Antifaschismus bedeutet für die AIHD, in diversen Bereichen mit den unterschiedlichsten Mitteln zu arbeiten. So engagiert sich die Gruppe nicht nur gegen Nazis und rechte Burschenschaften, gegen Rassismus und Antisemitismus, sondern auch gegen staatliche Repression, Militarismus, Kapitalismus und andere Formen von Unterdrückung. Gleichzeitig tritt die AIHD ein für die Schaffung selbstverwalteter linker Wohn- und Kulturzentren und für eine Gesellschaft, in der alle Menschen die Möglichkeit haben, ihr Leben eigenständig und frei zu gestalten. Dabei betrachtet sie „Militanz, die sich durch angemessene Zielgerichtetheit, permanente Selbstreflexion, konsequente Abwägung und hohes Verantwortungsbewusstsein der Agierenden auszeichnet“, als legitimes Mittel im Kampf um Befreiung. Und genau das scheint nun im aktuellen Berufsverbotsverfahren zur ausschlaggebenden Passage geworden zu sein. Dem Kultusministerium reicht bereits die bloße Mitgliedschaft in einer antifaschistischen Gruppierung aus, die sich nicht grundsätzlich von allen Formen von Militanz distanziert. Dabei besteht das einzige „Vergehen“ dieser Gruppe, gegen die noch nie ein Strafverfahren lief, darin, den häufig anzutreffenden Mangel an Bündnisfähigkeit sowie das Übermaß an handlungseinschränkender Selbstbezogenheit dadurch zu überwinden, dass sie seit Jahren eine intensive Zusammenarbeit mit anderen linken Gruppen und Organisationen vor allem in der Rhein-Neckar-Region aufrechterhält. Diese kontinuierliche, strömungsübergreifende Bündnisarbeit erweist sich für die AIHD seit über sechs Jahren als äußerst sinnvoll. Schließlich geht es ihr darum, emanzipatorische Positionen beispielsweise mit selbst organisierten Kundgebungen und Veranstaltungen in breitere Kreise hineinzutragen. Dabei geht sie auf Abstand zur staatsbürgerkundlichen Prämisse, derzufolge die Einzelnen in festumrissene gesellschaftliche Pflichten eingewiesen werden müssen, indem über „Bewusstseinsforschung“ und „Verhaltensschablonierung“ Antriebsimpulse zum Wirken für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ausgestrahlt und damit herrschaftsstützende Elite-Gläubigkeit erzeugt werden sollen. Und gerade auf Grund dieser Ablehnung steht die AIHD seit ihrer Existenz unaufhörlich im Visier des Inlandsgeheimdienstes. Dass sich der Verfassungsschutz mit Michael „nur“ ein besonders exponiertes AIHD-Mitglied mit staatsdienstlichen Berufsambitionen herausgegriffen hat, um an ihm die Wirksamkeit der „wehrhaften Demokratie“ zu exerzieren, wird daran deutlich, dass die Behörde vor kurzem mit acht Anquatschversuchen eine regelrechte Offensive gegen die Heidelberger Antifa-Szene gestartet hat. Angesichts dessen konzentriert sich die Arbeit der AIHD im Antirepressionsbereich zurzeit nicht nur auf den Kampf gegen das Berufsverbot, sondern allgemein gegen die Tätigkeit der Geheimdienste und die erschreckende Ausweitung ihrer Kompetenzen. aus: DER RECHTE RAND Nr. 94, Mai/Juni 2005, Seite 23