CONTRASTE Nr. 234 März 2004 Copyright © 1999 CONTRASTE Monatszeitung für Selbstorganisation Quelle: www.contraste.org
DIE REANIMATION EINER SCHON TOTGEGLAUBTEN MAULKORBPRAXIS IN
BADEN-WÜRTTEMBERG
Berufsverbot für Lehrer
Das politische Klima in der BRD scheint sich zu verschärfen. Ein
historisch einmaliges Überwachungssystem wurde seit dem 11. September
2003 eingerichtet und ein Ende der Maßnahmen des Staates zur Überwachung
seiner Bürger ist nicht abzusehen. Den wahren Staatsbürger lässt das
kalt, richten sich die Maßnahmen (Lauschangriffe, Telefonüberwachung,
Zugangskontrollen, Biometrie, gentic fingerprinting, das Scannen von
Autokennzeichen, Videoüberwachung u.v.m) doch nicht gegen Unschuldige
und brave Bürger - glauben sie ...
Dieter Poschen, Redaktion Heidelberg - Auch das Recht auf freie
Meinungsäußerung wird beschnitten: Demonstrationen werden von einem
Riesenaufgebot von Polizisten regelrecht eingekesselt und somit für die
anderen unbeteiligten Bürger wahrnehmbar kriminalisiert. Transparente
und Fahnenstangen werden im Vorfeld einer Demo beschlagnahmt und
Seitentransparente mit Meinungsäußerungen werden verboten, damit die
Polizei jederzeit von der Seite her knüppelnd in die Demo eingreifen
kann (zuletzt u.a. die Anti-Kriegs-Demo in München oder auch die AZ-Demo
in Heidelberg).
Und nun auch noch eine Wiederbelebung der unsäglichen
Berufsverbotspraxis der 70er Jahre? Am 15.12.2003 erhielt der
Realschullehrer Michael Csaszkoczy, der sich seit Sommer 2001 auf der
BewerberInnenliste für das Lehramt im Bezirk Heidelberg befand, ein
Schreiben des Oberschulamtes Karlsruhe. Darin wurde ihm mitgeteilt, dass
einschlägige Erkenntnisse des Innenministeriums aus den Jahren 1992-2002
Zweifel daran aufkommen ließen, dass er bereit sei, jederzeit für die
"freiheitliche demokratische Grundordnung" einzutreten. Diese könne er
allerdings bei einem "vertieften Einstellungsgespräch" ausräumen, bei
dem es insbesondere um die "Mitgliedschaft in Parteien oder
Gruppierungen" gehen solle, die "verfassungsfeindliche Ziele" verfolgen.
Dieses Schreiben bedeutet den Auftakt zu einem Berufsverbotsverfahren,
das sich faktisch schon wie ein Berufsverbot auswirkt, da der
ursprünglich geplante Einstellungstermin (01.02.2004) bereits
verstrichen ist.
Michael Csaszkoczy (auch gelegentlicher CONTRASTE-Autor) ist seit 1989
in Heidelberg politisch aktiv, wo er sich insbesondere in der Antifa-
und Antikriegsbewegung sowie für selbstverwaltete linke Zentren
engagiert und dabei auch in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt.
Außerdem ist er bundesweit für die Rote Hilfe e.V. aktiv, die als linke
Solidaritätsorganisation ebenfalls im Fadenkreuz des Verfassungsschutzes
steht.
Der den Berufsverboten zugrunde liegende "Radikalenerlass"
wurde 1972 eingeführt, um politisch aktive Menschen aus dem öffentlichen
Dienst fernzuhalten und Gleichgesinnte einzuschüchtern. Zwischen 1972
und 1990 wurden in der BRD 3,5 Millionen Anfragen an diverse
Staatsorgane in Sachen Radikalenerlass gestellt, insgesamt gab es 11.000
offizielle Berufsverbotsverfahren mit 1.250 endgültigen
BewerberInnen-Ablehnungen, wobei sich einige der Verfahren über 20 Jahre
hinweg erstreckten. Von 1979 an wurde dieses Repressionsinstrument
jedoch nicht mehr oder nur noch teilweise angewendet; trotzdem ist es in
der Gesetzgebung zahlreicher Bundesländer, so auch im
"Landesbeamtengesetz Baden-Württemberg", weiterhin verankert.
Diese Form politischer Einschüchterung ist in Europa einzigartig und
wird von vielen internationalen BürgerInnenrechtsorganisationen als
klarer Verstoß gegen die Menschenrechte verurteilt. Dementsprechend
entschied auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
1995 im Fall einer vom Berufsverbot betroffenen Gymnasiallehrerin. In
diesem exemplarischen Urteil erklärte er die Berufsverbotspraxis der BRD
für menschenrechtswidrig, weil sie gegen die Meinungs- und die
Vereinigungsfreiheit verstoße, die als Grundrechte in Art. 10 und 11 der
Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert sind.
In Baden-Württemberg ist die seinerzeit übliche "Regelanfrage" beim
Verfassungsschutz nicht mehr vorgesehen. Es scheint so, dass in diesem
Fall der Verfassungsschutz von sich aus tätig wurde. Denn auf seine
telefonische Nachfrage teilte der zuständige Regierungsdirektor dem
Lehrer mit, dass ihm bereits seit Sommer 2002 eine Akte des
Verfassungsschutzes vorliege. Darüber hätte Michael Csaszkoczy laut
Paragraph 3 des Landesverfassungsschutzgesetzes eigentlich informiert
werden müssen. Ein für den 23. Dezember 2003 vorgesehener
Anhörungstermin war verschoben worden: Wegen angeblich neuer
Erkenntnisse des Verfassungsschutzes. Und diese führen dazu, dass
Michael auch nach dem geplanten Einstellungstermin immer noch auf sein
"Verhör" wartet.
Kontakt: berufsverbot@rotehilfe.de"