Artikel aus 'brodd' (Norwegen), 20.11.2004 Berufsverbot Auf der Bühne singt Jane Zahn " Dies war von 27 Jahren aber es hat nicht aufgehört. Schön wieder gibt`s Berufsverbot was jeden hierempört". Im Jahr 1976 wurde sie, wie viele andere in den 70er und 80er Jahren, zu einer Anhörung durch die Behörden einberufen. Es gab Zweifel an ihrer Treue zum Grundgesetz. Sie wurde vom sogenannten „Radikalenerlass“ erfasst und durfte nicht mehr als Lehrerin arbeiten. Grund dafür war ihre Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei. Im Jahr 2004 steht sie wieder auf der Bühne und singt ihr altes Lied auf einer Unterstützungsdemonstration für den Lehrer Michael Csaszkòczy (34) in Heidelberg. Über ihn wurde im August dieses Jahres von Annette Schavan, der christlich-demokratischen Kultusministerin des Landes Baden-Württemberg, das Berufsverbot verhängt und damit für ihn die Ausübung seines Berufes an einer öffentlichen Schule unmöglich gemacht. Csaszkoczy ist seit 1989 in der Friedensbewegung und der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD) politisch aktiv. Nach anderthalb Jahren Referendariat in einer Realschule in Heidelberg beendete er im Jahr 2002 seine Ausbildung als Lehrer. Nach einer Weile als Arbeitssuchender erhielt er im Dezember 2003 einen Brief, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass das Innenministerium sich dagegen ausgesprochen hat, dass er als Lehrer angestellt wird. Es bestünden Zweifel an „seiner Treue zum Grundgesetz“. Csaszkoczy ist noch nie wegen irgendetwas verurteilt worden; er erhielt ausschließlich gute Referenzen während des Referendariats. Nach und nach wurde ihm bekannt, dass er seit mehr als 12 Jahren vom Verfassungsschutz, dem geheimen Überwachungsdienst des deutschen Innenministeriums, überwacht worden war. Das Erbe von Willy Brandts Verordnung. Das Berufsverbot gegen Csaszkoczy hat große Aufmerksamkeit in ganz Deutschland erregt. Die Menschen haben die Verhältnisse der 70’er und 80’er Jahre noch gut in Erinnerung, eine Zeit mit systematischer Befragung und Berufsverboten. Willy Brandt erließ im Jahr 1972 die sogenannte Radikalenverordnung. Diese staatlichen Maßnahme lief darauf hinaus, dass alle, die in den Staatsdienst als Beamte eintreten wollten, zum Beispiel als Lehrer oder Postbeamter, durch ein Standardinterview hindurch mussten, mittels welchem die politischen Überzeugungen und die Treue zum Grundgesetz geprüft wurde. Im Laufe der 70’er und 80’er Jahre mussten 3,5 Millionen Menschen durch diese systematische Befragung hindurch – 1500 Berufsverbote wurden ausgesprochen. Lothar Letsche, Mitglied der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW), der Gewerkschaft für Lehrer und Akademiker, ist selbst im Jahr 1977 aus seinem Beruf ausgeschlossen worden. „Mir wurde die Durchführung meiner Lehrerausbildung im Jahr 1977 verweigert. 1982 verlor ich ein dagegen angestrengtes Gerichtsverfahren. Ich war gezwungen, einen anderen Berufsweg einzuschlagen.“ Letsche hat, wie die meisten, die zum Berufsverbot verurteilt wurden, nie eine Entschädigung/Schmerzensgeld erhalten. „Ich habe keine Zeit, für etwas so Unrealistisches zu kämpfen. Jetzt bin ich sowieso zu alt, um die Ausbildung fortzusetzen.“ lächelt er in sich hinein. Das Berufsverbot gegen Csaszkoczy ist das erste in Baden-Württemberg seit 1993. 1995 wurde ein konkreter Fall dieser Praxis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht. Die Praxis wurde für nicht vereinbar mit der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit und somit für menschenrechtswidrig erklärt. Nachdem die Praxis wiederaufgegriffen worden ist, hat Csaszkoczy Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen, politischen Parteien und Gewerkschaften, sowohl aus Deutschland als auch aus Frankreich, erhalten. Überzeugungsspionage Die GEW unterstützt Csaszkoczy so gut sie kann und ist der Meinung, dass die Sache gegen ihn im Zusammenhang mit den Vorgängen der 70’er und 80’er Jahren gesehen werden muss. Ulrike Noll von GEW in Baden-Württemberg sagt, dass der problematischste Punkt an der Praxis eben genau darin besteht, dass es gefährlich wird, die falsche Meinung zu haben und sich zu äußern. „Das, was jetzt geschieht, ist genau dasselbe wie früher. Wie unter der Radikalenverordnung wurde Csaszkoczy zu einer Art Verhör einberufen, wurden im gesammelte Daten über ihn vorgelegt und musste er über seine Ansichten zu verschiedenen Dingen aussagen. Das ist dieselbe Form der Überzeugungsspionage wie früher. Diese Vorgehensweise widerspricht der grundlegenden Meinungs- und Gedankenfreiheit und den Rechten, die einem als Arbeitnehmer zustehen. Als Gewerkschaft können wir es nicht gutheißen, dass die Hoheitsträger heimlich unsere Mitglieder überwachen und Arbeitnehmerrechte zur Seite schieben.“ Sie unterstreicht die Konsequenzen dieser Form der Überzeugungsspionage: „Diese Praxis schafft ein Klima von Verunsicherung und Disziplinierung. Lehrer werden davor abgeschreckt, als Privatperson ihre Meinung zu sagen und sich zu engagieren, und ihr politischer Handlungsraum wird reduziert. Viele junge Mitglieder der Gewerkschaft sagen, dass sie jetzt dazu bereit sind, auf Demonstrationen zu gehen, und dass das Berufsverbot sie erst dazu gebracht hat, politisch aktiv zu sein. Ich selbst halte es für wichtig, auf antifaschistischen Demonstrationen etwas beizutragen. Aber jetzt überlege ich mir dreimal, ob ich teilnehme, und ich nehme nur noch an wenigen von ihnen teil. Man weiß ja nie, ob man nicht überwacht wird.“ Verfassungsschutz Obwohl die öffentlichen Schulen in Deutschland auf Bundeslandsebene verwaltet werden, kommt die Initiative in der Sache gegen Csaszkoczy vom Bundesinnenministerium, genauer: durch dessen geheimen Überwachungsdienst „Der Verfassungsschutz“. „Der Verfassungsschutz“ überwacht hauptsächlich innerstaaatliche Verhältnisse und die Deutschen selbst. Jetzt richtet sich Kritik gegen den Überwachungsdienst, der in einem Zeitraum von mehr als 12 Jahren Daten über Csaszkoczy gesammelt hat. In der Kritik heißt es, dass der Nachrichtendienst in sich selbst undemokratisch ist, indem er heimlich die eigenen Bürger überwacht und frei von jeglicher demokratischer Kontrolle agiert. Das Berufsverbot, das aufgrund der Überzeugungen des Betroffenen ausgesprochen wird, wird in den Medien und in verschiedenen Bürgerrechtsgruppen als verfassungswidrig und als Drohung gegen die Demokratie bezeichnet. Deutsche Menschenrechtsorganisationen haben sich eindeutig hinter Csaszkoczy gestellt und kritisierten die Anwendung präventiver Sanktionen durch den Staat. In einer Unterstützungserklärung der deutschen Organisation „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ heißt es: „Die Demokratie stirbt nach und nach, wenn der Staat durch derartige präventive Sanktionen davon ausgeht, dass alle Bürger per Definition verdächtig sind und er sich selbst das Recht gibt, in alle grundlegenden Bürgerrechte widerrechtlich einzugreifen.“ Die Organisation, in der Csaszkoczy aktiv gewesen ist, gilt nicht als verfassungswidrig, und er selbst wurde nie wegen irgendetwas, das er sagte oder tat, verurteilt. Dennoch werden sein Engagement und seine Ansichten als verfassungswidrig betrachtet. Die GEW wird daran arbeiten, dass der Beschluss gegen Csaszkoczy geändert wird. Sie erwarten einen Prozess, der sich über 10 Jahre hinziehen kann. Gleichzeitig wollen sie sich dafür einsetzen, dass soetwas nicht noch einmal geschieht. Im Jahre 1991 wurde die Übung, nach der Berufssuchende systematisch zu der Anhörung über ihre politische Ansichten einberufen wurden, abgeschafft. Dennoch blieben die gesetzlichen Grundlagen unverändert erhalten, was die Möglichkeiten für weitere Berufsverbote offenhält. Die GEW will sich nun dafür einsetzen, dass sich die Gesetze ändern. Weshalb jetzt, 11 Jahre nach dem letzten Vorfall, wieder ein Berufsverbot verhängt wurde, finden die meisten unverständlich. Letsche hat keine endgültige Antwort: „Anscheinend ist das Berufsverbot gegen Csaszkoczy ein Einzelfall und kein Ausdruck für einen systematischen Ausschluss radikal Denkender, wie wir es in den 70’ern und 80’ern erlebten. Hoffentlich wird der ganze Widerstand, der in dieser Sache entstanden ist, dazu beitragen, dass das Gesetz geändert wird und soetwas nicht noch einmal geschieht. Man kann nur darüber spekulieren, weshalb gerade Csaszkoczy als Staatsfeind herausgepickt und von einer Praxis getroffen wurde, von der wir glaubten, sie sei Geschichte.“ Karianne Drangsland