b&w Juli/August 2004

(Zeitschrift der GEW Baden-Württemberg)



Bundesweite Proteste gegen Berufsverbotsverfahren

Heidelberg: Der Fall von Michael Csaszkóczy (Realschullehrer macht bundesweit Schlagzeilen. Aufgrund von Zweifeln an seiner Verfassungstreue wurde ihm die Einstellung verweigert.



Csaszkóczy ist seit 1989 politisch aktiv. Er engagiert sich unter anderem in der Antikriegsbewegung und in der antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD). Der 33-jährige Realschullehrer absolvierte von Februar 2001 bis Juli 2002 den Vorbereitungsdienst an der Theodor-Heuss-Realschule in Heidelberg. Das Oberschulamt Karlsruhe hatte keine Bedenken gegen seine Aufnahme in das Beamtenverhältnis auf Widerruf angemeldet. Seit Sommer 2002 hofft(e) er auf eine Einstellung im Schulamtsbezirk Heidelberg.

Mitte Dezember 2003 wurde ihm vom Oberschulamt Karlsruhe mitgeteilt, das Innenministerium habe gegen seine Einstellung interveniert. Es bestünden Zweifel daran, dass er jederzeit Gewähr dafür biete, „voll für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten“. Der Verfassungsschutz habe mehr als 10 Jahre lang Informationen über ihn gesammelt, die jene Zweifel begründeten. Deshalb werde er für den 23. Februar 2004 zu einem „vertieften Einstellungsgespräch“ geladen. Hier solle es insbesondere um die „Mitgliedschaft in Parteien oder Gruppierungen“ gehen, „die verfassungs-feindliche“ Ziele verfolgen. Dieser Termin wurde jedoch durch das OSA Karlsruhe zunächst verschoben, da vorher eine förmliche Anfrage beim Landesamt für Verfassungsschutz nach „gerichtsverwertbaren Tatsachen“ gestellt worden sei und da man noch auf neuere Erkenntnisse warte, die beim Innenministerium angefordert werden müssten.

Bei einer ersten Akteneinsicht am 3. März 2004 erfuhr Csaszkóczy, dass sich die bisher vorliegenden Erkenntnisse des Verfassungsschutzes auf die Anmeldung mehrerer Demonstrationen gegen Neonazis und deutsche Kriegseinsätze bezogen. Außerdem wurden ihm Interviews vorgehalten, die er als Sprecher des Autonomen Zentrums Heidelberg gegeben habe.

Am 20. April 2004 fand eine Anhörung beim Oberschulamt Karlsruhe statt. Dort ging es vor allem um die Zugehörigkeit zur Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD). Csaszkóczy wurde aufgefordert, sich zum Selbstverständnis (im Internet unter www.autonomes-zentrum.org/ai veröffentlicht) entweder eindeutig zu bekennen oder sich davon zu distanzieren. Dazu war Csaszkóczy in pauschaler Form nicht bereit. Im AIHD-Grundsatzpapier findet sich der Satz: „Militanz, die sich durch angemessene Zielgerichtetheit, permanente Selbstreflexion, konsequente Abwägung und hohes Verantwortungsbewusstsein der Agierenden auszeichnet, betrachten wir dabei als ein legitimes Mittel im Kampf um Befreiung“. Die Polizei hatte Csaszkóczy mehrmals als Gegendemonstrant von Neonazi-Aufmärschen verhaftet. Die Ermittlungsverfahren gegen ihn wurden jedoch immer ein-gestellt. Vorbestraft ist er also nicht. Der Fall wird nun zur endgültigen Entscheidung dem Kultusministerium vorgelegt.


Protest gegen Wiederaufleben der Berufsverbotspraxis


Mittlerweile ist der Berufsverbotsfall Csaszkóczy bundesweit bekannt. Viele regionale und überregionale Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen berichteten. Die Protestwelle reißt nicht ab. Neben regionalen GEW-Gremien (die GEW Rhein-Neckar engagiert sich sehr stark) und den GEW-Landesverbänden Baden-Württemberg und Bayern äußerten sich Politiker/innen wie die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von GRÜNE/BÜNDNIS 90 im baden-württembergischen Landtag, Theresia Bauer und der bundesweit bekannte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr (im Namen des Komitees für Grund-rechte und Demokratie) in offenen Briefen. Die GEW Baden-Württemberg drückte in einem Schreiben an die Kultusministerin in klarer Form ihre Empörung darüber aus, dass es nach 20 Jahren wieder ein Berufsverbotsverfahren in Baden-Württemberg gibt. Diesem Schreiben war eine Pressemappe mit über 40 Veröffentlichungen zum Berufsverbotsfall Michael Csaszkóczy beigefügt (Stand: Mitte Juni 2004).

In einer Presseerklärung vom 7. Juni 2004 machte die bayrische GEW darauf aufmerksam, dass im Fall Michael Csaszkóczy „Grundmuster der Berufsverbotspraxis aus den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts wieder deutlich zutage“ treten: „Verdächtig kann werden, wer politisch aktiv ist, aber nicht im politischen Mainstream liegt. Nicht konkretes Verhalten (das justiziabel oder gar strafrechtlich verfolgbar ist) wird von der Einstellungsbehörde berücksichtigt, sondern unterstellte Gesinnung. Behörden maßen sich die Beurteilungskompetenz an, bestimmte Organisationen und Vereinigungen als „verfassungsfeindlich“ abzustempeln, mit dem Ergebnis, dass schon die Mitgliedschaft in diesen Organisationen als Einstellungshindernis gilt“. Auch hier greife „wieder der bekannte Vorgang: jahrelange Beschnüffelung mit einem banalen Resultat (Mitgliedschaft in einer Initiative gegen ausländerfeindliche und neonazistische Bestrebungen), anschließend akute Bedrohung mit beruflicher Existenzvernichtung.“ Dieser Vorgang sei mit dem eingebürgerten Begriff „Unverhältnismäßigkeit“ nur un-zureichend bezeichnet. Der vorgebliche Zweck des Anhörungsverfahrens (Schutz der Verfassung) werde durch die eingesetzten staatlichen Mittel nicht erreicht, sondern stattdessen konterkariert.


Schon vergessen? Die unselige Geschichte der Berufsverbote


Am 28. Januar 1972 beschlossen die Regierungschefs des Bundes und der Länder unter Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt neue Richtlinien zum Beamtengesetz, die zu Berufsverboten führten: „Die Einstellung in den öffentlichen Dienst setzt nach den genannten Bestimmungen voraus, dass der Bewerber die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt. Bestehen hieran begründete Zweifel, so rechtfertigen diese in der Regel eine Ablehnung“. Hintergrund der „Grundsätze über die Mitgliedschaft von Beamten in extremistischen Organisationen“ war das Erstarken einer neuen Linken im Gefolge der Studentenbewegung. Mit dem „Radikalenerlass“ sollte verhindert werden, dass diese neue Linke auch in den staatlichen Institutionen an Einfluss gewann. Insgesamt gab es in den 70er-Jahren mehr als 11.000 offizielle Berufsverbotsverfahren mit 1250 endgültigen Bewerber/innen-Ablehnungen und 265 Entlassungen auf Grund von 35.000 Verfassungsschutzdossiers und 3,5 Millionen Überprüfungen im öffentlichen Dienst.

Die Gründe, die Bewerber für den öffentlichen Dienst in den Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit brachten, waren vielfältig. Man musste nicht einmal Mitglied in einer kommunistischen Partei sein. Es reichte aus, in einer Organisation aktiv zu sein, in der auch Kommunisten mitarbeiteten.

Schnell geriet die Praxis des „Radikalenerlasses“ in eine breite öffentliche Kritik. In vielen Städten gründeten sich Anti-Berufsverbotskomitees. Besonders die Willkürlichkeit, mit der mit dem Begriff der Verfassungsfeindlichkeit hantiert wurde, wurde scharf kritisiert und löste bei vielen Studenten, die in den öffentlichen Dienst wollten, Ängste aus. Auch international wuchs die Kritik an der bundesdeutschen Praxis des Radikalenerlasses. Die Proteste blieben nicht ohne Wirkung. Von 1979 an wurde der Radikalenerlass jedoch nicht mehr oder nur noch teilweise angewandt. In einigen Bundesländern wurde die einschlägige Gesetzgebung sogar widerrufen. So beschloss die rot-grüne Regierung in Niedersachsen 1990, den Radikalenerlass zu widerrufen; im selben Jahr noch wurde er durch Ministerbeschluss außer Kraft gesetzt. 1980 bezeichnete der SPD-Vorsitzende Willy Brandt den Radikalenerlass als Irrtum seiner Regierung. Doch in vielen Bundesländern gingen die Regelanfragen bis in die 80er-Jahre weiter. Nur das Schrumpfen der Linken ließ das Thema aus der öffentlichen Debatte verschwinden. 1995 erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGHMR) im Fall einer betroffenen Gymnasiallehrerin die Berufsverbotspraxis der BRD für menschenrechtswidrig, weil sie gegen die Grundrechte auf Meinungs-und Vereinigungsfreiheit verstoße. Der EGHMR bezog sich dabei auch ausdrücklich auf die 1987 getroffene Feststellung des Untersuchungsausschusses der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO/ILO), dass die Berufsverbote in der BRD eine unzulässige Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf darstellten und gegen die IAO/-ILO-Konvention 111 verstoßen.


Hat die Kultusministerin ihrUrteil bereits gefällt?


Bei einer Heidelberger Wahlkampfveranstaltung am 7. Juni 2004 hob Kultusministerin Schavan hervor, dass Michael Csaszkóczy über Jahre in einer Art und Weise in Erscheinung getreten sei, die bei der Mehrheit der Heidelberger Bürger auf Ablehnung stoßen würde und er Mitglied einer Gruppe sei, die sich nicht eindeutig von Gewalt distanziere. Dagegen ist zu sagen, dass die AIHD nach Art. 9 GG nicht verfassungswidrig ist.

Lehrer/innen, die sich – auch im Sinne einer Vorbildsfunktion – in ihrer Freizeit aktiv für Grundrechte einsetzen, sollten für dieses Engagement nicht bestraft werden. Zudem ist es ein Skandal, dass sich die Ministerin auf Erkenntnisse des Landesamts für Verfassungsschutz beruft, obwohl das NPD-Verbotsverfahren mehr als deutlich gemacht hat, „dass diese Ämter neonationalistisch nahezu blind sind, jedoch Gruppen und Personen aufspüren, welche die Grund- und Menschenrechte wörtlich nehmen“, so Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr in einem „Offenen Brief “ an Frau Schavan, nachzulesen unter www.grundrechtekomitee.de.

Die Äußerung der Kultusministerin deutet hoffentlich nicht darauf hin, dass Frau Schavan ihr Urteil bereits gefällt hat. Sie würde sich damit nicht nur bundesweit ins politische Abseits stellen, sondern müsste sich auch fragen lassen, wie sie mit der europäischen und internationalen Rechtsprechung in dieser Frage umgeht.


Antje Dörr