Gesinnungsprüfer in Aktion
Neuer Berufsverbote-Skandal in Baden-Württemberg
Seit Ende letzten Jahres gibt es in Baden-Württemberg einen neuen Berufsverbotefall. Davon betroffen ist der 33-jährige Realschullehrer Michael Csaszkóczy. Der Einserexamenskandidat sollte zum 1. Februar 2004 eingestellt werden. Doch das baden-württembergische Innenministerium hegt Zweifel an der “Verfassungstreue” des Antifaschisten, dessen Engagement seit mehr als zwölf Jahren Beobachtungsgegenstand der Verfassungsschutzbehörde ist, wie jetzt eine Akteneinsicht ergab. Dem VVN-BdA Mitglied werden folgende, allgemeine “Zweifel an seiner Verfassungstreue” aufkommen lassende Aktivitäten zur Last gelegt: Mehrfache Anmeldung von Antikriegskundgebungen sowie Demonstrationen und Kundgebungen gegen Neonaziaufmärsche in Heidelberg und der Versuch, gemeinsam mit anderen einen Naziaufmarsch zu verhindern. Selbst die Mitautorenschaft an einer Dokumentation der VVN-BdA über die Mannheimer Widerstandsgruppe Lechleiter erregte die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes und wurde unter den vorgebrachten Ablehnungsgründen aufgeführt. Die Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA Baden- Württemberg verurteilte am 16. Mai in einer Entschließung das Wiederaufleben der Gesinnungsjustiz und fordert die sofortige rückwirkende Einstellung des engagierten Demokraten. “Mit dem vorliegenden Verfahren soll noch schärfer als bisher gegen unerwünschtes politisches Engagement vorgegangen werden”, heißt es in der Entschließung.
Bis in die späten 80er-Jahre hinein wurde in der Bundesrepublik – mit besonderer Schärfe in den CDU-regierten Bundesländern wie Baden-Württemberg – an der verfassungswidrigen Berufsverbotepraxis gegen politisch missliebige Beamte, zumeist waren Lehrerinnen und Lehrer davon betroffen, festgehalten. Erst nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Berufsverbote als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verurteilt hatte, verschwand der unsägliche, noch auf die Brandt-Regierung zurückgehende Maulkorberlass von 1972 vorläufig in der Versenkung, d. h. er wurde nicht mehr angewandt. Wie weitreichend die Beschädigung des politischen Klimas durch die Berufsverbotspraxis war, machen auch die folgenden Zahlen deutlich: Zwischen 1972 und 1986 gab es 3,5 Millionen Regelanfragen beim Verfassungsschutz, 11000 Berufsverboteverfahren, 2200 Disziplinarverfahren, 1250 Ablehnungen von Bewerbern und 265 Entlassungen aus dem Öffentlichen Dienst.
E. G.