Werner Pfennig
Bundes- und Landessprecher der VVN-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten.
Rede zur Demonstration gegen Berufsverbote am 23. 10. 1004 in Heidelberg
Liebe Freundinnen und Freunde,
Wir fordern: Weg mit den Berufsverboten!
Als die Nachricht vom Berufsverbot gegen Michael Csaszkóczy bekannt wurde, kam ich mir zunächst vor, wie im falschen Film, einem sehr schlechten dazu: Gräfin Shavania hat in ihrem Schlosse am falschen Sargdeckel gefummelt und die Untoten auf die Menschheit losgelassen. Und prompt sind sie alle wieder da, die wir tot geglaubt hatten: Der Radikalenerlass und das Berufsverbot, die den demokratischen Rechten, die unsere Politiker am Tage preisen, in der Nacht das Blut aus den Adern saugen. Und alle ihre kleinen grauen geheimen Helfer, die nicht mehr mit Sonnenbrille und Schlapphut, sondern mit modernster elekronischer Technologie omnipräsent sind und die Zinken an die Türen der Opfer setzen.
Aber das ganze ist kein schauriger Gruselfilm. Es ist die schaurige Wirklichkeit. Es ist kein Zufall, dass die Untoten gerade in Baden-Württemberg wieder auferstehen. In diesem Land wurde vor kurzem der furchtbare Jurist Filbinger, Ehrenvorsitzender der baden-württembergischen CDU, noch mit einem landesoffiziellen Empfang zu seinem 90. Geburtstag geehrt. Dagegen haben wir öffentlichkeitswirksam protestiert. Dieser Filbinger, der an Todesurteilen wegen fehlender Manneszucht mitwirkte, hat auch als Ministerpräsident für politische Kasernenhofordnung gesorgt. In seine Amtszeit fällt nicht nur die Abschaffung der demokratisch verfassten Studierendenvertretungen. Die Ära Filbinger hat auch die rigideste Berufsverbotspraxis unter allen Bundesländern zu verantworten.
Das Stichwort unter dem die besondere Gesinnungsbestrafung in Baden-Württemberg bekannt geworden ist, heißt Schieß-Erlass, benannt nach dem damaligen Innenminister. Auch dieser Schiess hat eine bewegte Vergangenheit: Er war frühes Mitglied der NSDAP und brachte es zum SA Obersturmführer und späterer Kammerverwalter des Volksturms. 1949 wurde er angeklagt, im April 1945 an der Erschiessung eines sogenannten "Defätisten" mitgewirkt zu haben.
Das waren die Leute, die in unserem Bundesland dann die Verantwortung für die Berufsverbote trugen. Kein Wunder, dass Frau Schavan nun heute im Keller des neuen Schlosses so erfolgreich fündig geworden ist. Es ist bei dieser Vorgeschichte auch kein Wunder, dass das Berufsverbot gegen Michael Csaszkóczy ausdrücklich mit seinem Engagement als Antifaschist begründet wurde. Michael habe Demonstrationen gegen Naziaufmärsche angemeldet, habe an Broschüren über den antifaschistischen Widerstand in Heidelberg und Mannheim mitgearbeitet und sei Mitglied der Antifaschistischen Initiative Heidelberg. All dies hat Michael aus gutem Grund getan.
Im letzten Jahr waren fast 11 000 neofaschistische Straftaten in Deutschland zu verzeichnen. Über 120 Menschen sind in den letzten Jahren von Neofaschisten getötet worden. In vielen Fällen wurde deutlich, daß Verfassungsschutz und Geheimdienste der BRD dem Terror der Nazis durch Duldung manchmal sogar Initiierung Vorschub leisteten. Justiz und Polizei erkämpften den Nazis über Jahre hinweg Freiräume, in dem deren Aktionen genehmigt und gegen Proteste geschützt wurden. Unsere Verfassung bestimmt, daß "die zur Befreiung des deutschen Volkes erlassenen Rechtsvorschriften" bestehen bleiben. Gemäß Artikel 139 unseres Grundgesetzes sind alle neofaschistischen Gruppen und Organisationen aufzulösen! Das ersetzt selbstverständlich nicht die politische Aufklärung auf allen Ebenen.
Aber was tut die Landesregierung? Sie sucht die Verfassungsfeinde unter den Antifaschisten. Die Verfolgung von Antifaschisten hat in unserem Lande leider eine lange Tradition: Sie fand einen ersten traurigen Höhepunkt im Vorläufer der heutigen Berufsverbote: Im Adenauererlass 1950 wurde die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes ausdrücklich benannt als eine der 12 "Organisationen, deren Unterstützung mit den Dienstpflichten unvereinbar sind". Die NSDAP, deren Ehemaligen damals die Mehrheit im deutschen Bundestag stellten, gehörte nicht dazu. "Gegen Schuldige" – nämlich Mitglieder der VVN - "ist unnachsichtig die sofortige Entfernung aus dem Bundesdienst ... herbeizuführen. " hieß es im Erlass.
Bereits fünf Jahre nach der Befreiung vom Faschismus waren es die Verfolgten, nicht die Verfolger, die angeblich die Verfassung bedrohten. 1959 stellte die Bundesregierung sogar einen Verbotsantrag gegen die VVN. Er scheiterte am internationalen Aufsehen, den er erregte: Am ersten und einzigen Prozesstag wurde bekannt, dass der Vorsitzende Richter, des Senats, der die VVN verbieten sollte ein Demokrat der besonderen Sorte war: Mitglied der SA seit 1933, Mitglied der NSDAP seit 1937. Der Prozess wurde vertagt und bis heute nicht mehr aufgenommen.
Auch die Berufsverbote der 70iger und 80iger Jahre richteten sich - so wenig wie heute - nicht wie Frau Schavan ständig behauptet gegen Linke und Rechte. Die NPD war 1969 mit fast 10 % der Stimmen in den Baden-württembergischen Landtag eingezogen. Ihre Funktionäre blieben teilweise bis heute unbehelligt im öffentlichen Dienst. Ein gewisser Studienrat Deckert, heute bekannt als gerichtsnotorischer Holocaust-Leugner und mehrfach vorbestrafter Nazi, wurde damals als Vorzeigefall tatsächlich aus dem Dienst entlassen. Der Grund war allerdings nicht seine stramm faschistische Gesinnung - sondern ein Disziplinarverfahren, das angestrengt wurde weil er im Unterricht den Holocaust geleugnet und Kinder auf dem Schulhof geschlagen hatte.
Auch der CDU-Landes-Kronprinz Günter Oettinger bezeichnete nach der Landtagswahl in Sachsen NPD und PDS gleichermaßen als Radikale, gegen die vorgegangen werden müsse. Wer so weit geht, rechtsextreme Parteien und PDS zu vergleichen oder gar gleichzusetzen, dem fehlt politisch-moralischer Anstand und er betreibt Brunnenvergiftung. Es ist und bleibt eine dreiste Lüge: Links ist nicht gleich rechts: Es waren doch nicht die Linken, nicht die Antifaschisten, die die Weimarer Republik zerstört haben.
In der Berufsverbotsära der 70er und 80er Jahre wurden 1250 Bewerber abgewiesen. 265 Menschen aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Sie waren zu 99 % Demokraten, Kriegsgegner, Antifaschistinnen und Antifaschisten. Aus dem öffentlichen Dienst entfernt - das ist bis heute der Euphemismus für die Existenzvernichtung von hunderten von Demokraten. Insgesamt wurden im Laufe der damaligen unseligen Berufsverbotepraxis 3,5 Mio Bewerberinnen für den öffentlichen Dienst vom sogenannten Verfassungsschutz überprüft, d.h. bespitzelt und durchleuchtet.
Zu den 3,5, Mio offiziell zugegebener Bespitzelungen durch den Verfassungsschutz kommt die Dunkelziffer aller derejenigen, die wie Michael heute über lange Jahre hinweg bespitzelt und ausgeforscht wurden und werden, auch ohne dass sie sich jemals für den öffentlich Dienst bewerben. Mit Hilfe dieser millionenfachen Schnüffelerkenntnisse wurden dann doch "nur" 11000 Berufsverboteverfahren und 2200 Disziplinarverfahren eingeleitet.
Das Verhältnis dieser Zahlen macht deutlich: Bei den Berufsverboten geht es nicht nur um die unmittelbar Betroffenen. Es geht um die Bespitzelung der Bürgerinnen und Bürger. Es geht um die Einschüchterung. Es geht um die ständige Bedrohung aller, die aktiv werden wollen für soziale und demokratische Rechte, gegen Nazis, für Frieden. Es geht nicht um den Schutz von Demokratie sondern um ihre Verhinderung.
Allein die Zahl von Daten und Erkenntnissen verleiht dem sog. Verfassungsschutz, dem Inlandsgeheimdienst der Bundesrepublik, eine ungeheure Macht. Er entscheidet darüber, wer im jährlich wiederkehrenden VS Bericht als extremistische Organisation verdächtigt wird. Seine sog. Erkenntnisse sollen nun wieder unmittelbar über die Existenz Einzelner entscheiden. Auch das ein offener Bruch des Grundgesetzes: Nie wieder Gestapo - dieser Gedanke war bei der Erarbeitung des Grundgesetzes noch allen präsent. Eine strenge Trennung von Geheimdienst und vollziehender Gewalt war die unmittelbare Konsequenz.
Das soll nun nicht mehr sein. Das Berufsverboteverfahren der Frau Schavan macht den Verfassungsschutz zur alles entscheidenenden Instanz. Wer ist ein Verfassungfeind? Wer darf in den öffentlichen Dienst? Existenz oder Existenzvernichtung. Der "Verfassungsschutzfifi", wie ihn der Freiburger Oberbürgermeister genannt hat, wird zum lieben Gott.
Derselbe Verfassungsschutz, der jetzt den Antifaschisten Michael Csaszkóczy zum Abschuss frei gegeben hat, hat vor kurzem noch verhindert dass der Verbotsprozess gegen die NPD geführt werden konnte. Auch das dient nicht dem Schutz der Verfassung, sondern ihrer Beschädigung.
Eine ernsthafte Debatte über das Elend der Inlandsgeheimdienste, wie sie nach der Blamage mit dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren dringend notwendig gewesen wäre, hat nicht stattgefunden. Der Verfassungsschutz ist ein ideologisches Kind des Kalten Krieges, die Inlandsgeheimdienste sind reformunfähig, die über 50-jährige Geschichte des Verfassungsschutzes ist eine Geschichte von Skandalen und Bürgerrechtsverletzungen, von der Überwachung demokratischer Organisationen, wie z.B. der Friedensbewegung und der VVN-BdA über skandalöse Sicherheitsüberprüfungen und illegale Telefonabhöraktionen bis hin zum fingierten Bombenattentat, das als "Celler Loch" in die Geschichte einging.
Rufe nach einer besseren Kontrolle helfen nicht weiter, denn ein Geheimdienst wäre keine Geheimdienst, wenn er sich offen kontrollieren ließe. Deshalb weg damit!
Es wird Zeit, dass es neben dem Stasi-Unterlagen Gesetz nun endlich auch ein Verfassungsschutzabwicklungsgesetz gibt. Sein Inhalt muß lauten: Abschaffung dieses Geheimdienstes und Vernichtung aller über Demokraten gesammelten Schnüffelerkenntnisse.
Frau Schavan hat mit dem Berufsverbot in Baden-Württemberg einen Versuchsballon gestartet. Dieser Ballon ist ein Signal und eine Ermunterung für Nazis aller Couleur! Während die Aktivitäten von Neofaschisten im Lande zunehmen, während Nazis in Heidelberg und Mannheim, in Schwäbisch Hall und Karlsruhe marschieren., weiß Frau Schavan nichts Besseres als Antifaschisten mit Berufsverbot zu belegen. Vom Aufstand der Anständigen ist bei Frau Schavan noch nicht einmal ein Rest politischer Anstand übriggeblieben.
Was die baden-württembergische Landesregierung angesichts der Aufmärsche und Wahlerfolge der Nazis tut, das ist der Aufruf zum Stillhalten, Wegsehen und Bloß- nicht-auffallen. Wer in seiner politischen Praxis Anpasserei und Duckmäusertum statt Selbstbewusstsein und Zivilcourage zur Bürgertugend und zum Erziehungsziel erklärt, taugt vielleicht zum Feldwebel, aber nicht als Erziehungsministerin eines demokratischen Landes. Wir fordern, dass Baden-Württemberg endlich die rechtlichen Grundlagen für den sogenannten "Radikalenerlass" aus dem Landesrecht streicht.
Liebe FreundInnen das Berufsverbot, das gegen Michael verhängt wurde, trifft nicht Michael allein. Es richtet sich gegen uns alle. Es ist nur ein Teil des Demokratieabbaus, den wir heute täglich erleben. Das sogenannte Antiterrorpaket des Herrn Schily sieht z.B. die Überprüfung und ggf. Entlassung von Beschäftigten in sogenannten sicherheitsrelevanten Bereichen vor: Flughäfen, Krankenhäuser, Energieversorgung, Telekommunikation, Chemieproduktion - welcher Bereich könnte nicht als sichrheitsrelevant bezeichnet werden.?
Im November will die Innenmisterkonferenz beschließen, die Trennung von Polizei und Geheimdienstdasten nach bayrischen Vorbild endgültig aufzuheben. Das sind nur Beispiele dafür, was uns erwartet. Eine der Parolen unter denen wir uns vor 20 Jahren zum Widerstand gegen die Berufsverbote zusammengefunden hatten lautete: Rettet die Demokratie!
Diese Parole gilt heute um so mehr:
Wir fordern die sofortige Einstellung von Michael Csaszkóczy!
Weg mit den Berufsverboten!
Wir brauchen Kraft, Ausdauer und eine lange Wut. Wir kämpfen weiter, bis die demokratischen Rechte verwirklicht sind. Für eine Welt, in der es Frieden, soziale Gerechtigkeit und Arbeit für alle gibt.