Ansprache von Ulrich Karl im Auftrag der GEW
bei der Kundgebung gegen Berufsverbote am 23.10.04 in Heidelberg
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
die GEW ist eine Einheitsgewerkschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund. "Einheitsgewerkschaft" bedeutet, dass die GEW alle Beschäftigten im Bildungswesen organisiert ganz unabhängig von ihrer sonstigen politischen Orientierung. GEW-Mitglieder können der Antifaschistischen Initiative Heidelberg ebenso angehören wie der CDU. Das macht die innergewerkschaftliche Meinungsbildung manchmal schwierig. Wir gehen aber davon aus, dass die Beschäftigten im Bildungswesen – so unterschiedlich ihre Anschauungen auch sein mögen - gegenüber der Arbeitgeberseite ähnlich lautende Interessen haben, die sich auf einen gemeinsamen Nenner bringen lasse. Dazu gehört auch das Interesse, seine Meinung frei äußern und sich politisch ungehindert betätigen zu können.
Wir sind heute auf die Straße gegangen, um ein Berufsverbot für Realschullehrer Michael Csaszkóczy und Berufsverbote im Allgemeinen zu verhindern. Nachdem die Regierung Brandt 1972 den Radikalenerlass installierte, hat die GEW mit Berufsverboten viel Erfahrung gesammelt. Die Mehrzahl der Betroffenen waren Lehrerinnen und Lehrer. Ich will hier nicht verhehlen, dass es eine schwierige Diskussion war, bis unsere Position unumstritten feststand:
Die GEW ist gegen Berufsverbote, die nach unwürdiger Gesinnungsschnüffelei auf Grund von Zweifeln an der Verfassungstreue verhängt werden. Jede und jeder muss das Recht haben, auch im Beamtenstatus, seine demokratischen Grundrechte uneingeschränkt wahrzunehmen, ohne von Repression bedroht zu sein. Die Regelanfrage beim Verfassungsschutz, die früher bei jeder Einstellung erfolgte, und der Radikalenerlass selbst wurden zu Beginn der 90er Jahre abgeschafft. Das war die Besiegelung der Niederlage der Landesregierung in der Auseinandersetzung mit der Bewegung gegen die Berufsverbote. Diese waren politisch nicht durchsetzbar und hatten vor den Verwaltungsgerichten keinen Bestand. Viele Kolleginnen und Kollegen haben sich über Jahre, teilweise über ein Jahrzehnt lang, gegen das ihnen drohende Berufsverbot gewehrt. Sie haben mehr für die Demokratie in diesem Land getan als so mancher Innen- oder Kultusminister. Ich bin ihnen heute noch dankbar für ihren Mut, ihren Einsatz und ihr Durchhaltevermögen.
Der ungute Geist des Radikalenerlasses, den Willy Brandt später selbst als Fehler bezeichnet hat, ist nicht tot. Das erweist sich heute. Er hat sich in die Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums zur Durchführung des Landesbeamtengesetzes zurückgezogen, schlummerte dort etliche Jahre und versucht jetzt erneut zuzuschlagen. Meiner Wahrnehmung nach gab es etwa 20 Jahre lang kein neues Berufsverbot in Baden-Württemberg. Allerdings behauptet die Landesregierung jetzt, auch in jüngerer Zeit zu diesem undemokratischen Mittel gegriffen zu haben.
Wenn das so stimmt, haben die Betroffenen etwas falsch gemacht. Sie haben akzeptiert oder im stillen Kämmerlein gekämpft, und das kann politisch nicht erfolgreich sein. Was heute hier geschieht, ist die einzig richtige Antwort: Information der Öffentlichkeit, öffentliche Solidarisierung ermöglichen, öffentlich Widerstand leisten! Demokratinnen und Demokraten haben nichts zu verbergen.
Man kann darüber spekulieren, warum gerade jetzt ein neues Berufsverbot verhängt werden soll. Es könnte sich um den Anfang einer neuen Welle derartiger Repression handeln, um die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes einzuschüchtern. Angesichts der Verschlechterungen der sozialen und materiellen Bedingungen in Deutschland, die auch den öffentlichen Dienst nicht verschonen, erscheint das nicht abwegig.
Ich bin allerdings der Überzeugung, dass ein solcher Einschüchterungsversuch auch heute nicht erfolgreich sein wird. Berufsverbote haben eine traurige Tradition in unserem Land. Aber die Tradition des Widerstands gegen Berufsverbote ist weniger traurig. Der Widerstand hatte Erfolg und er wird, falls nötig, heftig aufleben und wieder erfolgreich sein. Vielleicht ist das beabsichtigte Berufsverbot für Michael Csaszkóczy auch nur eine willkommene Gelegenheit für die Kultusministerin, sich bei stockkonservativen Kräften im Land und vor allem in der CDU anzubiedern. Schließlich möchte sie Erwin Teufel als Ministerpräsidentin beerben. Und manchen gilt sie fälschlicherweise immer noch als relativ liberal. Das schmälert die Chancen.
Wie dem auch sei: Wir werden nicht einmal ein einziges Berufsverbot zulassen..
Eine eher kurze Lebensdauer möchte diesem Berufsverbotsversuch zubilligen, wer die Antwort des Kultusministeriums auf eine Landtagsanfrage des Abgeordneten Zeller liest. Seitenweise werden Texte der AIHD und namentlich nicht genannter Redner der AIHD bei Kundgebungen zitiert. Man muss das wirklich nicht alles mittragen, aber konkrete Vorwürfe gegen den Kollegen Csaszkóczy werden nicht erhoben. Außerdem wird völlig übersehen, dass Beamte ihren Amtseid nicht auf die Marktwirtschaft, eine bestimmte Politik, Regierung oder Person ableisten, sondern auf die Verfassung. Diese lässt ein ganz breites Spektrum verschiedenster Meinungen zu!
Auf die Gretchenfrage des Abgeordneten, ob und in welcher Weise der Lehramtsbewerber während des Referendariats gegen Rechtsvorschriften verstoßen bzw. die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage gestellt habe, lautet die Antwort des Kultusministeriums lapidar: "Hierzu liegen keine Erkenntnisse vor."
Das ist weniger als dünn und ich beleuchte diese peinliche Dürftigkeit mit einem Zitat aus der schon erwähnten Vorschrift zum Landesbeamtengesetz. Dort heißt es: "Ebenso wenig wie ein verfassungsfeindliches Verhalten zwingend eine Mitgliedschaft in einer Partei oder einer Organisation mit verfassungsfeindlichen Zielen voraussetzt, ergibt sich zwangsläufig aus einer solchen Mitgliedschaft ein verfassungsfeindliches Verhalten des Bewerbers."
Ich wage die Prophezeiung, dass dieses Berufsverbot keinen Bestand haben wird. Michael Csaszkóczy schreibt über sich selbst: "Sowohl meine politische als auch pädagogische Grundhaltung würde es mir verbieten, meine Stellung als Lehrer zur Indoktrination von Schülerinnen und Schülern zu missbrauchen". Die GEW ist der Auffassung, dass zur Demokratie erfolgreich nur erziehen kann, wer für Schülerinnen und Schüler selbst als Demokrat, als politischer Mensch erkennbar wird. Lehrkräfte dürfen nicht indoktrinieren, wollen sie auch nicht. Aber ein politisches Neutrum erzieht nicht zur Demokratie, sondern zur politischen Enthaltsamkeit.
Die GEW steht zu unserer Demokratie und zu den demokratischen Grundrechten. Sie steht deswegen auch zu ihrem Mitglied Michael Csaszkóczy. Den jetzt erforderlichen Mut hast Du, lieber Kollege, das Durchhaltevermögen wünsche ich Dir, und zum Erfolg wird die GEW ihren Teil nach Kräften beitragen.
Danke!