Süddeutsche
Zeitung, 30.07.2012
Ein linker Lehrer verlangt, dass seine Akte beim Verfassungsschutz
vernichtet wird
München — Dieser Mann hat dem Verfassungsschutz gerade noch gefehlt. Aber die Behörde hat sich den
Gegner auch selbst zuzuschreiben. Wegen der Aktenschredder-Affäre steht der
Inlandsgeheimdienst ohnehin nicht gut da. Und nun kommt dieser
baden-württembergische Lehrer und will vor
Gericht durchsetzen, dass man die Akten,
die der Verfassungsschutz über ihn angelegt hat, erst offenlegt und
anschließend vernichtet. „Ich möchte, dass es endlich ein Ende hat”, sagt der
42-Jährige.
Weil
er in einer Heidelberger Antifa-Gruppe
aktiv ist, wird Michael Csaszkóczy seit
Jahren vom Geheimdienst beobachtet. Das Land Baden-Württemberg hat versucht,
ihn vom Schuldienst fernzuhalten. Das war
noch zu Zeiten der damaligen Kultusminister Annette Schavan und Helmut Rau (beide CDU). Sie beriefen sich auf die
dünnen Erkenntnisse des Verfassungsschutzes,
beispielsweise über Csaszkóczys Teilnahme an Protesten gegen den
Irak-Krieg und gegen Angriffe auf Asylbewerber.
So wurde seit dem Jahr 2004 die Debatte über Berufsverbote, die man
eigentlich für eine Erscheinung des vorigen Jahrtausends gehalten hatte, neu
entfacht.
Der
Pädagoge klagte sich durch die Instanzen und errang 2007 vor dem
baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof einen fulminanten Sieg. Die
Richter zeigten sich sehr verwundert darüber, dass
die Behörden etwas dokumentiert hatten, das „ersichtlich ebenso vom
Grundgesetz gedeckt ist wie die freie Meinungsäußerung”.
So
konnte Csaszkóczy, der zudem gute Noten hatte, schließlich doch noch Lehrer und
Beamter werden. Der Staat musste ihm sogar
fast 33 000 Euro Schadenersatz zahlen, weil er den Mann jahrelang wie einen
Staatsfeind behandelt hatte. Längere Zeit hatte Csaszkóczy von Hartz IV leben
müssen. Seit vier Jahren unterrichtet er nun in einer baden-württembergischen Kleinstadt Deutsch, Kunst und Geschichte an einer Realschule. Es läuft ganz gut, auch
wenn am Anfang ein paar Neonazis vor der
Schule aufmarschierten, um gegen den Antifa-Mann
zu protestieren. Einige Eltern und Kollegen mögen den linken Lehrer und dessen
kritische Sicht auf den Kapitalismus immer
noch etwas argwöhnisch beäugen. Doch
Csaszkóczy ist ein beseelter Pädagoge.
Er sagt: „Indoktrination fände ich völlig daneben.”
Privat engagiert er sich weiterhin in der Antifa-Initiative und in einem Netzwerk, das gegen Berufsverbote
protestiert. Allein das macht ihn für die
Behörden offen-bar weiterhin zum
Verdächtigen. Ruhe vor dem
Geheimdienst hat Csaszkóczy jedenfalls noch immer nicht. Er selbst gibt
so schnell allerdings auch nicht auf. Die
vielen Jahre des Kampfes gegen sein
Berufsverbot hätten ihn „gebeutelt”,
sagt der Lehrer, der mittlerweile einen kleinen Sohn hat. Er wehrt sich
weiter.
Csaszkóczy
verlangt vollständige Auskunft darüber,
welche Informationen das Landesamt in Stuttgart und das Bundesamt für
Verfassungsschutz in Köln über ihn angelegt haben. Anschließend sollen die Akten vernichtet werden. Entsprechende Anträge hat Csaszkóczys Anwalt Martin Heiming bei den Behörden gestellt, bisher ohne Erfolg. Nun will er vor die zuständigen Gerichte ziehen, im Falle des Bundesamts
für Verfassungsschutz ist das zu-nächst das Verwaltungsgericht Köln.
Das
Amt beruft sich in einem Schriftwechsel,
den Unterstützer des Lehrers auszugsweise veröffentlicht haben, auf die
Einstufung der Heidelberger Antifa-Gruppe
als linksextremistisch. Das gelte auch für
den Verein „Rote Hilfe”, dem der Pädagoge angehöre. Ein paar der über
Csaszkóczy gesammelten „Informationen” hat der Verfassungsschutz in seinem
Schriftwechsel preisgegeben: Lang und breit
listet er die Aktionen auf, mit denen sich
der Pädagoge gegen sein Berufsverbot zur
Wehr setzte — ein Berufsverbot, das ja, wie die Richter urteilten, rechtswidrig war. Dass man seinem Mandanten diesen legitimen
Protest zum Vorwurf macht und in den Akten
dokumentiert, hält Anwalt Heiming für „völlig absurd”.
Der
Verfassungsschutz hat sogar Informationen über eine Kundgebung gespeichert, die die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft organisierte. Das Verständnis
von Meinungsfreiheit scheint in der Kölner Behörde, vorsichtig gesagt, nicht sehr weit gefasst zu sein. Die verweist in
dem Schriftwechsel allerdings darauf, dass
sich die Antifa-Arbeit, wie sie die Heidelberger Gruppe vertrete, keineswegs im Widerstand gegen Neonazis erschöpfe. Die Aktivisten würden das „kapitalistische System” überwinden wollen, und die Anwendung von Gewalt werde in diesen Kreisen als legitimes Mittel betrachtet. Die Richter
hatten dem linken Lehrer freilich attestiert, dass er sich von Gewalt
distanziert. Bei einer Demonstration habe
er sogar deeskalierend eingegriffen.
Für Michael Csaszkóczy ist es unbegreiflich, dass der Verfassungsschutz nach dem Auffliegen der Zwickauer Terrorzelle ausgerechnet Akten über Neonazis in den Reißwolf gab — aber die über den linken Lehrer gesammelten Informationen unbedingt behalten will. TANJEV SCHULTZ