Eine Antwort auf die Hausarbeit des LfV BaWü

16.10.2015: Csaszkóczys Anwalt nimmt Stellung zu dem Versuch einer politischen Hausarbeit, die das Landesamt im Mai vorgelegt hatte im Bemühen, Belege für die Bedrohung der Bundesrepublik Deutschland durch Michael Csaszkóczy und andere „Linksextremisten” in Heidelberg zu finden:

In der Verwaltungsrechtssache Michael Csaszkoczy gegen Land Baden-Württemberg

soll auflagegemäß Stellung genommen werden zum jüngsten Schriftsatz des Beklagten vom 29.05.2015. Das kann in aller Kürze geschehen, denn die gegensätzlichen Standpunkte sind weitgehend erschöpfend ausgetauscht (vgl. dazu auch die richterlichen Hinweise vom 07.01.2015).

  1. Der "politische Werdegang" des Klägers hat Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts damit begonnen, dass er sich in Mannheim, zusammen mit anderen, schützend vor ein Asylbewerberheim gestellt hat, das Ziel ausländerfeindlicher Angriffe war. Mit diesem Ereignis beginnen auch die "Erkenntnisse" des Beklagten über den Kläger. Dies ist aus zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Angesichts insbesondere der aktuellen Brandanschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte wird deutlich, wie wichtig es damals war und auch heute wieder ist, dass sich Teile der Gesellschaft nachdrücklich und mit der eigenen Person solchen rassistischen Attacken entgegenstellen. Es wird aber auch deutlich, dass die Sicherheitsbehörden, darunter auch der Beklagte, offensichtlich nicht in der Lage waren und sind, solche Ereignisse im Vorfeld schon zu verhindern; offenbar binden die Vorfeldermittlungen "verfassungsfeindlicher Bestrebungen" im "linksextremistischen" Bereich so viele Kräfte, dass rassistische Bestrebungen unentdeckt bleiben – im Zusammenhang mit dem "NSU" untersuchen mehrere parlamentarische Ausschüsse gerade mühsam, was alles nicht getan wurde. Angesichts dieser Umstände macht es durchaus sprachlos, wenn der Beklagte den Kläger in Aktion vor einem Flüchtlingsheim feststellt und diese Erkenntnis über bald ein viertel Jahrhundert als verfassungsfeindliche Bestrebung speichert!

  2. Vor diesem Hintergrund ist auch überhaupt nicht verständlich, warum der Beklagte der AIHD - und damit auch dem Kläger - vorwirft, "Strukturen, Aktivitäten und Kontakte der Hammerskins im deutschen Südwesten" öffentlich zu machen (Schriftsatz S. 17 oben); dies wäre Aufgabe des Beklagten gewesen, die dieser bedauerlicherweise nicht erfüllt hat.

  3. Das falsche Verständnis des Beklagten von seinen Aufgaben wird beispielsweise deutlich, wenn dem Kläger ein Interview vom 05.02.2015 (Schriftsatz S. 22 unten) vorgeworfen wird, in dem er dafür streitet, Grundrechte "zu verteidigen... wo sie vom Staat ausgehöhlt werden,..." (S. 23 oben). Die Grundrechte sind nach allgemeinem Verständnis "Abwehrrechte gegen den Staat", als solche sind sie konzipiert worden. Der Kläger wird dies aussprechen dürfen.

  4. Als weiterer Beleg für die "unbeirrte" Sichtweise des Beklagten sollen zwei Zitate aus der Mitgliederwerbung der Roten Hilfe (RH) herangezogen werden, das der Beklagte in seiner Anlage 4 (S. 18 unten) anführt: "Der von den Herrschenden betriebenen Spaltung und Einschüchterung wollen wir gemeinsam (jenseits aller innerlinken Differenzen hinsichtlich politischer Theorie und Praxis) entgegentreten und damit alle ermutigen, weiterhin für ihre politischen Ziele zu kämpfen" (Fettdruck übernommen aus Anlage 4). Im Fazit dieses Kapitels in der Anlage 4 wird daraus flugs: "Zu ihrem (der RH) Selbstverständnis gehört nicht nur die "solidarische" Unterstützung "politisch Verfolgter", sondern auch deren Ermutigung und Bestärkung im Kampf gegen die bestehende Gesellschaftsordnung" (Hervorhebung d. Uz.). Hier nimmt der Beklagte erkennbar einen offensichtlich viel zu weiten Interpretationsspielraum für sich in Anspruch, der deutlich zielgerichtet, aber nicht durch Tatsachen gerechtfertigt ist. In dieser Manier findet im Vortrag des Beklagten ständig eine Verwechslung von Normativ und Realität statt.

  5. Aber auch die Realitäten selbst unterliegen unterschiedliche Bewertungen. So propagiert der Beklagte einen "linksextremistischen Antifaschismusbegriff'. Damit gilt dann auch beispielsweise die antifaschistische Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) als "linksextremistisch". In diesem Zusammenhang verweist der Beklagte auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München, das er zusätzlich als Anlage 5 im Langtext beifügt. Er verschweigt allerdings, dass gerade in Baden-Württemberg die Landesregierung das LfV angewiesen hat, die VVN (mangels verfassungsfeindlicher Bestrebungen) nicht mehr zu beobachten. Auch die Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD) erscheint nicht mehr im Jahresbericht des LfV.

  6. Nach wie vor unklar ist, in welcher Wiese der Beklagte Informationen sammelt, auswertet und speichert. Die Aktenvorlage erscheint immer noch, abgesehen von den Schwärzungen, absolut unvollständig. Wenn von Beklagtenseite vorgetragen wird, dass der Kläger beobachtet wird, weil er sich in extremistischen Gruppierungen bewegt, umgekehrt aber auch Gruppierungen beobachtet werden, in denen er auftaucht, weil er seinerseits als extremistisch gilt (vgl. beispielsweise Schriftsatz S. 5 Mitte), will weiterhin nicht einleuchten, warum es zum Kläger keine Personenakte geben soll.

  7. Für den Zeitraum von vor 2002 bleibt noch festzuhalten, dass insoweit jedenfalls ein etwaiger Löschungsanspruch des Klägers nach wie vor offen ist. Selbst wenn der damalige Auskunftsbescheid (in irgendeiner Art) in Bestandskraft erwachsen sein sollte, kann dies höchstens gelten, soweit Auskunft erteilt wurde. Damit ist aber nicht auf immer ein Löschungsanspruch erloschen. Dieser bleibt bestehen oder lebt auch erst später auf, wenn die Voraussetzungen für eine Löschung eingetreten sind. Von daher wäre vom Beklagten mindestens darzulegen, welche Daten aus der damaligen Zeit (immer noch) so bedeutsam sind, dass sie immer noch nicht gelöscht werden dürfen. Dabei spielt auch durchaus heute noch eine Rolle, ob Daten unrechtmäßig erhoben wurden, weil insoweit kein gesetzlicher Auftrag des Beklagten gegeben war. Auch daraus, und nicht nur aus Zeitablauf, ergäbe sich ein Löschungsanspruch. Auch über diese Frage ist mit dem damaligen Bescheid nicht, und schon gar nicht auf immer, eine Entscheidung getroffen worden.

  8. Die wesentliche Frage stellt inzwischen die Bewertung der Aktivitäten des Klägers in der Roten Hilfe und der Antifaschistischen Initiative Heidelberg dar. Im Zusammenhang dieser beiden Gruppen hat der Beklagte mit politikwissenschaftlichem Anstrich die Begriffe "Extremismus", "Linksextremismus" und "Antifaschismus" erörtert. Zu konkreten Punkten ist dabei (siehe oben) schon Stellung genommen worden. Allgemein ist festzuhalten, dass der Beklagte hier überwiegend selbstreferenziell arbeitet, wenn er zur Roten Hilfe ein ausführliches Papier "Zur Verfassungsfeindlichkeit der Roten Hilfe e.V." (Anlage 4) vorlegt, das keinen Autor oder Urheber erkennen lässt, aber offensichtlich vom Landesamt oder Bundesamt für Verfassungsschutz selbst erarbeitet wurde. Auch das beigefügte Buch "Linksextremismus in Deutschland" ist entsprechend einzuordnen, war sein Autor doch früher selbst im und für den Verfassungsschutz tätig.

    Der Kläger seinerseits hat daher Dr. Fülberth gebeten, die politischen Interpretationen und Bewertungen des Beklagten in seinem jüngsten Schriftsatz aus tatsächlich politikwissenschaftlicher Sicht zu untersuchen und zu kommentieren. Diese Stellungnahme vom 02.10.2015 ist als Anlage K 4 im Original beigefügt. Um Wiederholungen zu vermeiden, mache ich mir diese Stellungnahme vollständig zu Eigen.

    Dr. Fülberth war von 1972 bis 2004, danach emeritiert, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg. Insbesondere stellt Professor Fülberth dar, dass es dem Beklagten nicht hinreichend gelungen ist, dem Kläger oder der Roten Hilfe oder der AIHD Verstöße gegen die acht Postulate der freiheitlich demokratischen Grundordnung (FdGO), die der Beklagte in seinem Schriftsatz als wesentlich angeführt hat, nachzuweisen. Nicht die rechtlich fixierten Säulen der FdGO, sondern eine "politisch wertende" Norm wird vom Beklagten herangezogen, um Verfassungsfeindlichkeit zu detektieren.

    Wenn es aber keine belegbaren oder gar nachgewiesenen Anhaltspunkte für Verstöße insbesondere des Klägers selbst gegen die FdGO gibt, ist das Aufgabengebiet des Verfassungsschutzes gesetzlich gar nicht erst eröffnet und eine Beobachtung des Klägers unzulässig.

Heiming Rechtsanwalt