06.07.2011
Csaszkóczys Anwalt Martin Heiming nimmt zur Position des
Innenministeriums Stellung. Insbesondere geht er darauf ein, dass der
Verfassungsschutz mittels fragwürdiger ‚Erkenntnisse’ die gesetzlichen Fristen
zur Löschung von Daten immer wieder beliebig verlängert.
Darüber hinaus thematisiert er, wie der Verfassungsschutz aus der Tatsache, dass Csaszkoczy sich gegen grundrechtswidrige Berufsverbote engagiert hat, prompt selbst wieder einen verfassungsfeindlichen Akt macht.
In dem
verwaltungsgerichtlichen Verfahren
Michael Csaszkoczy
gegen
Bundesrepublik Deutschland
wird zur Klageerwiderung vom
08.05.2012 Stellung genommen:
zur Roten Hilfe
Die Beklagte zitiert aus der
Satzung, dass die Unterstützung der Roten Hilfe allen gilt, „... die als Linke
wegen ihres politischen Handelns ... vor Gericht gestellt, verurteilt werden.”
Dazu sollen beispielsweise im Jahr 2009 Anwalts- und Prozesskosten in Höhe von
180.000,00 € aufgebracht worden sein. Was daran verfassungsfeindlich sein soll,
erschließt sich nicht. Dies leistet, in weit höherem Maße, jede gute
Rechtsschutzversicherung. Vorgeblich verfassungsfeindlich wird dies nur, wenn
man, wie es die Beklagte tut, das Wort „Linke”
ummünzt in das Wort „Linksextremisten”.
Das ist aber Propaganda und kein Beleg.
Immer wieder gebe ich als
Strafverteidiger meinen Mandanten den Rat, in Ermittlungsverfahren keine
Aussage zu machen. Das ist nicht nur gesetzlich so vorgesehen, sondern hat sich
auch sachlich ganz überwiegend bewährt. Was daran verfassungsfeindlich sein
soll, wenn dieser Rat auch von der Roten Hilfe erteilt wird, erschließt sich
nicht.
Regelrecht falsch ist die
Behauptung, Themenschwerpunkt der Roten Hilfe seien die Vorgänge um die
ehemaligen Mitglieder der RAF. Dafür werden, für den Zeitraum von 15 Jahren
seit Auflösung der RAF, ganze zwei 'Belege' genannt, ein Artikel im Jahre 2007
über Christian Klar und eine Pressemitteilung aus 2011, ein Aufruf, wie die
Beklagte schreibt, „zur Solidarität mit den von Beugehaft bedrohten ehemaligen
Militanten aus der RAF”. Unabhängig davon, dass damit kein „Schwerpunkt”
dargelegt ist, erschließt sich auch keine verfassungsfeindliche Bestrebung. Der
Streitpunkt der Beugehaft beispielsweise ergab sich im Zusammenhang mit dem
aktuellen Strafverfahren gegen Verena Becker in Stuttgart. Dort sollten
ehemalige Mitglieder aus der RAF zur Zeugenaussage gezwungen werden, trotz
eines Auskunftsverweigerungsrechts gemäß § 55 StPO. Soweit tatsächlich
Beugehaft verhängt wurde, hat der Bundesgerichtshof dies für unzulässig erklärt
(vgl. BGH, z. B. Beschluss vom 30.06.2011, 2 StE 2/10-5). Was schließlich die
§§ 129 a und 129 b StGB betrifft, so unterliegen sie seit ihrer Einführung
breiter Kritik, auch von 'gestandenen' Strafrechtsprofessoren. Nach den
Kriminalstatistiken liegt auch für neutrale Beobachter der Schluss nahe, dass
vor allem der § 129 a StGB „in erster Linie der Ausforschung, Einschüchterung
und Kriminalisierung linker Bewegungen” dient. Es werden ungleich mehr
Ermittlungsverfahren eingeieitet, als schließlich auch Anklagen erhoben werden.
Ein letztes beinahe dramatisches Beispiel ist die groß angelegte
Durchsuchungsaktion des Generalbundesanwalts von Wohnungen und Projekten
vornehmlich in Hamburg im Vorfeld der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm
im Jahre 2007. Auch hier musste der Bundesgerichtshof korrigierend eingreifen
und feststellen, dass insoweit eine terroristische Vereinigung weit und breit
nicht erkennbar gewesen sei und von daher schon die Zuständigkeit des GBA nicht
gegeben war (vgl. BGH, StB 12/07)
zur Antifaschistischen
Initiative Heidelberg (AIHD)
Die Einschätzung der AIHD
durch die Beklagte ist nicht nur nicht nachvollziehbar, sondern verliert sich
eher im Nebulösen. Das einzige Zitat, das als Beleg angeführt wird, sagt aus, dass
eine enger bestimmte ideologische Position gerade nicht notwendig ist, um sich
der AIHD anzuschließen. Alles andere sind fragwürdige Einschätzungen und
Formulierungen der Beklagten selbst — vor allem bezüglich der Rolle und
Bedeutung des Antifaschismus.
Dass ausgerechnet das
Bundesamt für Verfassungsschutz sich insoweit eine Definitionsmacht anmaßt, ist
nun spätestens nach der Zuspitzung der Entwicklungen bei der Aufklärung des
NSU-Komplexes in den letzten Tagen nicht mehr hinnehmbar. Erkennbar ist bisher,
dass im BfV in diesem Bereich nicht nur geschlampt, sondern gezielt manipuliert
wurde und wird. Damit wird zusätzlich erkennbar, dass das BfV hier seine höchst
eigene und höchst eigenwillige, um es zu euphemisieren, Politik betreibt.
Die Beklagte greift sich aus
dem bunten Strauß der Mitglieder der AIHD dann „die Autonomen” heraus, liefert
für diese wieder eine eigene und ebenfalls höchst eigenwillige Definition, die
dann offenbar wiederum Anwendung auf die gesamte AIHD findet. Die AIHD hat zu
ihrem Selbstverständnis formuliert: „Der autonome Antifaschismus der 1980er und
90er Jahre, der als Reaktion auf den zunehmenden rassistischen Terror entstand,
ist für uns, bei allen Fehlern und Unzulänglichkeiten, ein zentraler
historischer Bezugspunkt”. Die Beklagte ignoriert, dass die AIHD sich mithin
selbst nie als autonome Gruppe bezeichnet hat.
zur Mitgliedschaft des
Klägers
Abgesehen von dem obigen
'Wortgeklingel' führt die Beklagte keinerlei konkrete Handlungen oder Aktionen
konkreter Mitglieder der beiden genannten Organisationen an, geschweige denn
Handlungen des Klägers selbst, die als verfassungsfeindliche Bestrebung
bewertet werden könnten. Das ganze Konstrukt hängt derartig in der Luft, dass
es als Grundlage für eine rechtlich zulässige Beobachtung des Klägers durch das
BfV nicht taugt. Letztlich wird dem Kläger eine bloße 'Kontaktschuld'
angelastet.
Klar wird auch (wieder
einmal), dass die juristisch und wissenschaftlich unhaltbare Extremismus-Doktrin des Bundesamts für
Verfassungsschutz nicht (länger) hinnehmbar ist. Sie taugt ganz
offensichtlich nicht zu einer gesamtgesellschaftlich verbindlichen Kategorie.
Schon gar nicht ist es mithin akzeptabel, dass damit dann Menschen nicht nur
etikettiert, sondern, wie im vorliegenden Fall, erfasst und mit 'verheimlichten'
Belegen gespeichert werden.
Im Zusammenhang mit der
Frage der Gemeinnützigkeit von Vereinen, die gemäß der Abgabenordnung mit
steuerlichen Nachteilen aberkannt wird, wenn der Verfassungsschutz in seinen
Jahresberichten einen Verein als extremistisch etikettiert, ist jedenfalls auf
der juristischen Ebene in Entscheidungen von Gerichten immer wieder einmal
festgestellt worden, dass Definition und Doktrin untauglich sind — die
Gemeinnützigkeit wurde wieder zugesprochen.
zur Relevanz des VGH-Urteils
Der VGH Baden-Württemberg
und später auch das Kultusministerium Baden-Württemberg haben entschieden, dass
„keine Zweifel an der Verfassungstreue des Klägers bestehen”.
Das ist ausreichend klar und
hat auch Gültigkeit für die Beklagte. Ob Erkenntnisse danach nun zu einer neuen
Bewertung und zu Zweifeln an der Verfassungstreue des Klägers führen, wäre ggf.
zu klären. Die neuen Erkenntnisse, die dem Kläger bisher bekanntgemacht wurden,
reichen dazu nicht. Sie beziehen sich fast ausschließlich darauf, dass er sich
(auch) öffentlich und politisch — und in der nachträglichen Betrachtung zu
Recht und mit Erfolg — gegen das damalige Berufsverbot gewehrt hat. Will die
Beklagte andeuten, dass diese Erkenntnisse das Gericht damals zu einer anderen
Einschätzung veranlasst hätten? Will die Beklagte weiter andeuten, der
Verfassungsschutz habe damals dem Gericht nicht alle Erkenntnisse vorgelegt und
dieses wäre zu einer anderen, negativen Einschätzung gekommen, wenn es alle
Erkenntnisse gekannt hätte? Das würfe in mehrfacher Hinsicht brisante Fragen
auf, die dann ggf. zu klären wären.
zu den Aktivitäten gegen
das Berufsverbot
Hier wird dem Kläger (wieder
nur) vorgeworfen, dass er bestimmte Kontakte hatte. Seine Definition von
„Militanz” aus einer Veröffentlichung in der Rote-Hilfe-Zeitung hat er so auch
benutzt beim Einstellungsgespräch im Oberschulamt. Seine Definition macht sich
explizit nicht an Gesetzesbrüchen fest. Das Gericht damals hat auch diesen
Vorwurf verworfen; dies könne keine Zweifel an der Verfassungstreue des Klägers
begründen.
(...)
zur Frage von Speicherung
und Löschung bzw. Sperrung
Richtig ist sicherlich, dass
aktuelle Daten die Löschung früherer Daten verhindern. Der Kläger steht aber
auf dem Standpunkt, dass Daten gar nicht erst erhoben bzw. gespeichert werden
durften. Das Gericht wird diese Frage zu klären haben. Dabei wird auch zu
berücksichtigen sein, dass der Präsident des BfV selbst in seiner Anhörung
gestern vor dem NSU-Untersuchungsausschuss angegeben hat, es gebe im Amt keine
wirklichen Richtlinien zu Speicherung und Löschung von Daten. Insbesondere kann
die Beklagte nicht mit den gesammelten Daten über Aktivitäten des Klägers gegen
sein eigenes Berufsverbot die Speicherfrist beliebig verlängern. Zu klären
bleibt dabei auch, warum und auf welcher rechtlichen Grundlage (ältere)
Informationen erst im Jahre 2011 „zur Ergänzung der Erkenntnislage zum Kläger” erhoben
und zur Akte genommen wurden. Welchen Erkenntnisgewinn soll es bringen, aus
20 Jahre zurückliegenden biographischen Vorgängen angeblich speicherungswürdige
Daten zu extrahieren und zur Akte zu bringen? Oder soll lediglich dieser
Rechtsstreit 'aufgefüttert' werden?
Auch die Frage nach zunächst
nicht, später dann doch mitgeteilten Informationen bleibt eine offene Frage
insoweit, als nicht erkennbar ist, warum Informationen drei Monate später
plötzlich nicht mehr geheimhaltungsbedürftig sein sollen. Welche „Erkenntnisse
über die geheimdienstliche Arbeit” hätte der Kläger aus diesen Informationen
ziehen können und verändert sich die Antwort auf diese Frage, wenn er diese
Information drei Monate früher gehabt hätte?
Akteneinsicht
Abschließend beantrage ich
Akteneinsicht in die von der Beklagten gern. § 99 Abs. 1 vorzulegenden Akten,
Urkunden und elektronischen Dokumente. Ich behalte mir vor, den klägerischen
Vortrag nach Akteneinsicht zu ergänzen.
Heiming Rechtsanwalt